Geschichten by Luise Link

Geschichten by Luise Link

Autor:Luise Link
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: TWENTYSIX
veröffentlicht: 2016-01-15T00:00:00+00:00


Donnerstag

Es war hell im Zimmer. Der Platz im Bett neben ihr war leer.

Sie hörte ihn in der Küche hantieren. Sie durfte also zum Frühstück bleiben. Wie unendlich, unaussprechlich peinlich war die ganze Situation. Erster Tag, sofort in der Kiste, sie wusste nicht einmal seinen Namen. Und sie war einundvierzig und er bestimmt über fünfzig, egal, wer auch immer er sein mochte.

„Da ich zum Frühstück bleiben darf, darf ich jetzt auch deinen Namen wissen? Sie versuchte, witzig zu klingen.

Er grinste.

„Sind Namen nicht Schall und Rauch? Ich heiße Martin, gnädiges Fräulein, angenehm.“ Er deutete eine Verbeugung an, was ins seinem Adamskostüm, in dem er sich noch befand, extrem lächerlich aussah und sie an die Almkühe erinnerte.

Gottseidank. Zu neunzig Prozent war er also der Richtige, wenn er auch seinen Nachnamen noch nicht preisgegeben hatte. Aber sie würde nachher sein Haus genau anschauen und, so hoffte sie, zweifelsfrei wiedererkennen.

„Sind meine Kleider trocken?“

„Ich habe dir die neuen Kleider auf den Stuhl gelegt. Es ist zu feucht, deine Kleider werden noch etwas Zeit zum Trocknen brauchen. Lass uns so frühstücken, wie wir geschlafen haben“, dabei lächelte er, „du bist so schön, gönn mir noch ein bisschen deinen Anblick.“

Es war Morgen, es war hell, alles erschien in anderem Licht und sie schämte sich. Schämte sich für gestern Abend und die Nacht, schämte sich, dass sie nackt war.

„Jedes Ding hat seine Zeit“, hallte Mama.

„Ich will mich lieber erst anziehen.“

Sie ging nackt zum Stuhl hinüber und griff nach den Kleidern. Frauenkleider, offensichtlich in ihrer Größe. Auf dem Tisch lag ein Briefumschlag. „Für Anita.“

„Was ist das für ein Brief? Ist der von dir?“

„Lass uns erst frühstücken, ja? Du kannst ihn im Gasthaus öffnen, er offenbart dir ein Geheimnis.“

Sie frühstückten schweigend. Er hatte sich auch etwas angezogen.

Irgendwann holte er die Tüte mit ihrer feuchten Kleidung.

An der Tür sagte er: „Wir haben uns ja nur einmal gesehen, aber wer weiß, vielleicht trifft man sich noch einmal wieder.“

Sie schlich die Holztreppe hinunter wie ein geprügelter Hund, dann rannte sie im Regen den Pfad hinab, ohne einen Blick auf das Haus zu werfen.

Die Kleidung, der gefaltete Brief in ihrer Hosentasche, alles brannte gleichsam auf ihrer Haut. Sie kam atemlos am Gasthaus an.

An der Tür stand der Wirt.

„Wo worn’s denn? Hab mer scho Sorgen g’macht, dass Ehna wos passiert wär. S’wär besser g’wesa, S’hätten vorher wos g’sagt, dann hätt i mir die Unruh schenka kenna“, sagte er vorwurfsvoll.

Ihr fiel so schnell keine Ausrede ein, weil ihr die Peinlichkeit der Situation die Sprache verschlagen hatte. Sie schwieg, stand da mit hängenden Armen und rang nach Luft.

Männer mögen defensive Frauen, die sich wie friedlich-dumme Kühe oder unschuldig-naive Lämmer verhalten. Das stärkt ihre Position und gibt ihnen die Gewissheit, dass sie das stärkere Geschlecht sind.

„Na, jetzt han i’s kapiert. Sind wohl glei zu ehm neig‘schliepft? Ging aber fix, gell?“, meinte er verschmitzt.

„Da kommen’s amal eini, noch der Nocht brauchen’s sicher guats was zum Essa, gell?“

„Nein, nein“, beeilte sie sich, „ich habe schon gefrühstückt.“

Sie eilte in ihr Zimmer, warf sich auf das Bett und begann mit dem Seufzen und Schluchzen.



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