Gesammelte Werke - Alexander Sergejewitsch Puschkin by Alexander Sergejewitsch Puschkin

Gesammelte Werke - Alexander Sergejewitsch Puschkin by Alexander Sergejewitsch Puschkin

Autor:Alexander Sergejewitsch Puschkin [Puschkin, Alexander Sergejewitsch]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783736402027
Herausgeber: andhof
veröffentlicht: 2015-11-26T16:00:00+00:00


Alexander Puschkin

Die Pique-Dame

I.

Die Pique-Dame bedeutet versteckte Feindseligkeit. (Neuestes Wahrsagebuch)

Beim Gardeoffizier Narumow fand ein Kartenabend statt. Die lange Winternacht ging ganz unmerklich dahin, und man setzte sich zum Souper erst um fünf Uhr morgens. Diejenigen, die gewonnen hatten, zeigten großen Appetit, die andern saßen zerstreut vor den leeren Tellern. Als der Champagner kam, wurde die Unterhaltung lebhafter, und alle nahmen an ihr teil.

»Nun, wie geht's, Ssurin?« fragte der Gastgeber. »Schlecht, ich habe alles verloren, wie gewöhnlich. Ich muß gestehen, ich habe immer Pech: ich spiele Mirandole, ruhig, gelassen, lasse mich durch nichts aus der Fassung bringen, und doch verliere ich immer.« »Hast du dich denn nie hinreißen lassen, Route zu setzen? ... Ich bewundere deine Selbstbeherrschung!« »Wie gefällt euch der Hermann?« sagte ein Gast, auf einen jungen Genieoffizier zeigend. »Er hat noch nie im Leben eine Karte angerührt, nie gesetzt, und doch bringt er es fertig, mit uns bis fünf Uhr dazusitzen und dem Spiel zuzuschauen.«

»Das Spiel interessiert mich sehr,« sagte Hermann, »ich bin aber nicht in der Lage, das Unentbehrliche auf die Karte zu setzen, um Überflüssiges zu gewinnen.«

»Hermann ist ein Deutscher: er ist sparsam und vernünftig – das ist die Sache!« versetzte Tomskij. »Wen ich aber nicht begreife, das ist meine Großmutter Anna Fjodorowna.«

»Wieso?« riefen die Gäste.

»Ich finde es unbegreiflich,« fuhr Tomskij fort, »warum sie nie pointiert.«

»Es wäre doch weit merkwürdiger, wenn eine achtzigjährige Alte pointieren würde,« bemerkte Narumow.

»Wißt ihr denn gar nichts von ihr?«

»Nein, wirklich nichts.«

»Also hört! Ihr müßt wissen, daß meine Großmutter vor sechzig Jahren in Paris war und dort großen Erfolg hatte. Das ganze Volk lief zusammen, um die ›Venus moscovite‹ zu sehen. Selbst Richelieu machte ihr den Hof, und meine Großmutter behauptet, er hätte sich ihretwegen beinahe das Leben genommen. Um jene Zeit spielten die Damen noch Pharao. Einmal verlor meine Großmutter bei Hofe an den Herzog von Orleans eine bedeutende Summe, die sie ihm schuldig bleiben mußte. Nach Hause zurückgekehrt, erzählte sie dem Großvater, während sie die Mouches vom Gesicht nahm und den Reifrock abstreifte, von ihrer Spielschuld und befahl ihm, diese zu begleichen. Mein seliger Großvater wurde, so viel ich mich erinnere, von der Großmutter mehr als Haushofmeister behandelt und hatte vor ihr den größten Respekt. Als er aber von dieser ungeheuren Spielschuld hörte, wurde er ganz wild. Er brachte sein Ausgabenbuch und zeigte ihr, daß sie im letzten Halbjahr eine halbe Million verlebt hätten; bei Paris hätten sie weder die Moskauer, noch die Ssaratower Güter, er könne also unmöglich das Geld beschaffen. Die Großmutter gab ihm eine Ohrfeige und ging allein zu Bett, um ihm ihre Ungnade zu zeigen: Am nächsten Morgen ließ sie den Mann rufen, den sie durch diese häusliche Strafe bekehrt glaubte. Er war aber noch immer unerbittlich. Da ließ sich die Großmutter zum erstenmal in ihrem Leben herab, mit ihm zu verhandeln; sie redete ihm ins Gewissen und versuchte ihm zu beweisen, daß eine Spielschuld doch etwas anderes sei als eine gewöhnliche Schuld, und daß es doch einen Unterschied gäbe zwischen einem Herzog und einem Wagenlieferanten. Alles war vergebens, der Großvater ließ sich durch nichts umstimmen.



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