Finsteres Verlangen: Ein Anita Blake Roman (German Edition) by Hamilton Laurell K

Finsteres Verlangen: Ein Anita Blake Roman (German Edition) by Hamilton Laurell K

Autor:Hamilton, Laurell K. [Hamilton, Laurell K.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783838715445
Herausgeber: Bastei Luebbe
veröffentlicht: 2012-06-21T22:00:00+00:00


30

Caleb war auf die Ladefläche geklettert, um die Plastikfolie zu holen, die ich immer dabeihatte, wenn ich mal etwas Schmutzigeres als Hühner zu transportieren hatte, und breitete sie auf dem Sitz aus, damit Nathaniel fahren konnte. Ich hatte selbst fahren wollen, aber Jason hatte mich nur angeknurrt. Er hatte recht. Ich war nicht die Stabilste. Nathaniel, dessen Augen wieder lila waren, hielt mir entgegen: »Du warst bewusstlos. Du hast nicht mehr geatmet. Jason hat dich geschüttelt, und du hast gejapst.« Er schüttelte ernst den Kopf. »Wir mussten dich in einem fort schütteln, Anita, und du hast immer wieder aufgehört zu atmen.«

Wären sie Menschen, hätten ich widersprechen können, dass sie sich getäuscht hätten, aber wenn gleich mehrere Lykanthropen sagten, ich hätte nicht geatmet, musste ich das glauben.

Hatte Mami Allerliebst mich töten wollen? Oder war das unabsichtlich oder zufällig passiert? Es war vielleicht nicht ihre Absicht gewesen, aber sie könnte es versehentlich getan haben. Und ich hatte genug von ihr mitgekriegt, um zu wissen, dass es sie nicht kümmerte. Es würde ihr nicht leid tun, sie hätte keine Schuldgefühle. Sie dachte nicht wie ein Mensch oder zumindest dachte sie nicht wie ein netter, normaler, zivilisierter Mensch. Sie dachte wie ein Soziopath – kein Mitgefühl, keine Sympathie, kein Schuldgefühl. In gewisser Hinsicht muss das eine sehr friedvolle Existenz sein. Konnte man mit so wenig Emotionen einsam sein? Vielleicht, aber beurteilen konnte ich das nicht. Das Wort einsam wäre mir bei ihr nicht in den Sinn gekommen. Wenn man das Bedürfnis nach Freundschaft oder Liebe nicht verstand, konnte man dann einsam sein? Ich zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.

»Was ist?«, fragte Nathaniel.

»Wenn man Liebe oder Freundschaft nicht empfinden kann, kann man dann Einsamkeit empfinden?«

Er sah mich mit hochgezogenen Brauen an. »Weiß ich nicht. Warum fragst du?«

»Wir sind gerade der Mutter aller Vampire begegnet, aber sie ist mehr wie die Mutter aller Soziopathen. Menschen sind selten Soziopathen in Reinform. Meistens fehlt ihnen nur das eine oder andere. Aber Mami Allerliebst ist einer, finde ich.«

»Es spielt keine Rolle, ob sie einsam ist«, sagte Caleb.

Ich drehte den Kopf zu ihm. Seine braunen Augen waren sehr groß, und er sah blass aus trotz seiner Sonnenbräune. Unwillkürlich schnupperte ich. Im Wagen roch es nach allem Möglichen, aber hauptsächlich nach Wolf, Vanille und Caleb. Caleb roch … jung. Es wunderte mich, aber ich glaubte zu riechen, wie zart sein Fleisch war, wie frisch sein Blut. Er roch sauber, nach einer mild parfümierten Seife, aber darunter lag ein anderer Geruch, der bitter und zugleich süß war, so wie Blut salzig und zugleich süß schmeckt.

Ich drehte mich so weit wie möglich zu ihm herum und sagte: »Du riechst gut, Caleb, ganz zart und verängstigt.«

Er war eigentlich das Raubtier, nicht ich, doch der Blick, den er mir zuschoss, war der Blick eines Beutetiers – große Augen, weiches Gesicht, leicht geöffnete Lippen. Ich sah seinen Puls am Hals.

Mich überfiel der Drang, auf den Rücksitz zu klettern und diesen hektischen Puls zu belecken, die Zähne in das zarte Fleisch zu schlagen und den Puls herauszulösen.



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