Erzählungen by Fanny zu Reventlow
Autor:Fanny zu Reventlow [Reventlow, Fanny zu]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Der feine Dieb
Gelegentlich einer Ferienreise hatte man uns im letzten Moment ein junges Mädchen mitgegeben, welches Elly hieà und etwas herauskommen sollte. Sie hatte eine miÃglückte Verlobung hinter sich, litt unter der Einförmigkeit ihres Lebens in einer kleinen Stadt und war darüber bleichsüchtig geworden.
Wir waren anfangs erschrocken und fühlten uns nicht besonders geeignet, Mädchen aus der Kleinstadt zu chaperonieren, aber es ging dann ganz gut. Elly war bescheiden und sehnte sich nur nach neuen Erlebnissen oder Menschen, die ein wenig aus dem Rahmen des Alltäglichen herausfielen. Gerade weil sie das tat, hatten wir natürlich Pech. Alles, was wir unterwegs sahen, hörten oder kennenlernten, war von haarsträubender MittelmäÃigkeit. Wo immer wir uns aufhielten, schien, als habe[404] der liebe Gott in einer bourgeoisen Anwandlung nur mehr Oberlehrer und Geheimratswitwen erschaffen.
Auch das kann seine Reize haben, aber Elly litt darunter â denn das alles hielt sich unweigerlich im Rahmen des Alltäglichen. Bis dann einer aus dem Kreise ihr den Russen mitbrachte, extra für Elly, wie man Kindern eine Spielfigur mitbringt. Er hatte ihn bei einem Ausflug getroffen (es war noch vor dem Krieg, in jener sagenhaften Zeit, wo es noch Ausländer gab und diese für Attraktionen galten) und, da der Russe sich an demselben Ort aufhalten wollte, mit ins Hotel genommen. Es war eigentlich nichts Bemerkenswertes an ihm, auÃer seinem schlechten Deutsch, und Elly war wiederum leise enttäuscht, blühte aber doch etwas mehr auf, denn er machte ihr die Cour und fragte mehrmals, ob sie nicht Lust hätte, ihm später nach Amerika zu folgen. Er wollte demnächst hinüberfahren und sich dort eine Existenz gründen.
»Oh, das wird sehr interessant sein«, sagte er mit mindestens dreifachem R. » Interessant« mit dreifachem R war einer seiner Lieblingsausdrücke.
Wir anderen behandelten ihn mit groÃer Herzlichkeit. Vielleicht ergab sich hier für unseren Schützling eine erfreuliche Zukunftsperspektive.
»Wenn er nur etwas mehr aus sich herausginge«, sagte Elly manchmal, »ich weià ja eigentlich gar nichts von seinem Leben. Ich denke, er muà Schweres durchgemacht haben, denn er spricht nicht gern darüber.«
»Versuchen wir einmal, ihn etwas aufzutauen«, meinte Herr P., derselbe, der ihn mitgebracht hatte und sehr auf Ellys Wohl bedacht war.
Ja, man muÃte ihm einmal etwas auf den Zahn fühlen, wir waren ja in gewissem Sinne für das Mädchen verantwortlich.
So wurde kurz vor seiner Abreise ein kleines Souper[405] veranstaltet und dem Gast zu Ehren vor, zwischen und nach dem Essen viele Schnäpse getrunken.
Die Stimmung gestaltete sich recht lebhaft, Eis brach und Hemmungen fielen. Einer von den Herren stimmte ein Kosakenlied an:
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