Ein Haus in Berlin · 1890 · Luise, Hinterhof Nord (German Edition) by Waldtraut Lewin

Ein Haus in Berlin · 1890 · Luise, Hinterhof Nord (German Edition) by Waldtraut Lewin

Autor:Waldtraut Lewin [Lewin, Waldtraut]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: schwanger, Schwestern, historisch, Familie, Juden, Klassengesellschaft, erste Liebe
Herausgeber: Ravensburger Buchverlag
veröffentlicht: 2015-02-02T16:00:00+00:00


Die Woche vergeht und Luise hört nichts von ihrem Freund.

Inzwischen ist es richtig kalt geworden, und nach der Kälte kommt der Schnee. »Februar im Schnee – tut am meisten weh«, sprüchelt Mutter Sander und seufzt, und Luise fragt sich, was für eine Bedeutung diese alten Bauernregeln hier in Berlin eigentlich noch haben, die die Mutter immer im Mund führt, wie zum Beispiel »Mai kühl und nass – wohl gefülltes Fass«. Damit ist ja bestimmt nicht die Regentonne gemeint. Ganz zu schweigen von »Ist die Kirsche rot – kommt die größte Not«.

Die Mutter beginnt wieder zu husten. Nachts erfüllt das dumpfe Gebell das Souterrain, und Wilhelm Sander knurrt unmutig im Schlaf und wälzt sich hin und her. Die Mädchen sind nicht wach zu kriegen, und so steht manchmal Luise auf, facht die Glut im Herd neu an und macht für die Kranke eine Tasse lösenden Leinsamenaufguss.

Seit Anna Sander ihrer ältesten Tochter gleichsam untersagt hat, sich mit dem Jungen vom Vorderhaus abzugeben, haben die beiden noch kein Wort über das Notwendigste hinaus miteinander geredet.

Es schmerzt und beunruhigt sie, dass sich Bertram nach dem missglückten Rendezvous noch nicht wieder bei ihr gemeldet hat. Schließlich hält sie es nicht mehr aus und bringt ein Briefchen zu Frau Lehnert, der Köchin. Zur gewohnten Zeit im Kontor …

Bertram empfängt sie am Tor der ehemaligen Fourragehandlung und ohne die Hunde.

»Im Kontor geht es nicht. Der Prokurist macht Überstunden – die Bilanz!«, sagt er hastig. Er küsst sie auf die Wange und wirkt seltsam verlegen. »Wir können in mein Bastellabor gehn, aber du weißt, da ist es kalt. Und leise müssen wir sein wie die Mäuschen. Man hört jeden Mucks von da oben, wenn man im Kontor sitzt.«

Luise muss schlucken. »Ich hab mir unser erstes richtiges Wiedersehen anders vorgestellt«, sagt sie. »Bist du so böse, weil ich noch einmal absagen musste? Es war das letzte Mal, dass ich da hingegangen bin. Es ist vorbei. Endgültig vorbei, Bertram.«

Er lehnt am Torpfosten und sieht sie nicht an.

»Ja, ich war schon sehr enttäuscht«, murmelt er. »Aber böse bin ich nicht. Es ist bloß ungünstig im Augenblick.« Er kaut an der Lippe.

Sie stehen da voreinander im Schnee. Luise hat den neuen Mantel an und die schöne Pelzkappe, aber er nimmt nicht einmal Notiz davon. Was ist bloß mit ihm passiert?

»Bist du traurig?«, fragt Luise. »Bedrückt dich irgendwas? Du wirkst so verändert.«

Er schüttelt den Kopf.

»Aber du hast mich doch noch lieb?«, fragt sie, halb scherzhaft.

Er starrt sie an, und seine Augen sind wild. Dann nimmt er ihren Kopf in beide Hände und schreit ihr förmlich ins Gesicht: »Wie kommst du dazu, mich so etwas überhaupt zu fragen? Wie kannst du daran zweifeln? He? Verrat mir das!«

Sie macht sich erschrocken los. »Es war nicht so gemeint«, sagt sie begütigend. »Bitte, Bertram. Nicht so heftig. Ich weiß doch, dass du mich lieb hast. So wie ich dich.«

»Entschuldige«, murmelt er und atmet tief und stockend aus. »Ich bin ein bisschen nervös. Morgen ist Griechischklausur.«

Luise möchte heulen. Aber das kann sie ja auch noch auf dem Nachhauseweg.

»Ich krieg kalte Füße, Bertram.



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