Digitale Theologie by Haberer Johanna

Digitale Theologie by Haberer Johanna

Autor:Haberer, Johanna [Haberer, Johanna]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Kösel
veröffentlicht: 2015-05-14T16:00:00+00:00


IN DER NEUEN DIGITALEN WELT

Religiöse Sprachspiele

Wenn es richtig ist, dass Medien nichts anderes sind als Instrumente der Erweiterung des Ich, dann muss die Art und Weise unserer technischen Kommunikation Thema der Anthropologie, der Philosophie, der Theologie und der Ethik sowie aller anderen Geistes- und Sozialwissenschaften sein, dann betreffen sie unmittelbar die menschliche Existenz sowie die Selbstwahrnehmung und den Selbstausdruck von Kulturen und Gesellschaften. Die Vision einer digitalen Welt ist das Produkt einer aufgeklärten christlich-westlichen Kultur, in deren Zentrum der Einzelne steht, dieses Ich, das sich umso perfekter verwirklicht, je weiter gespannt seine Möglichkeiten sind, die eigenen Gedanken, Vorstellungen und Weltbilder zu verbreiten; dieses Individuum, das sich über seine Wahlmöglichkeiten definiert und das die Entgrenzung feiert, dieses Selbst, das sich in der Begegnung mit anderen immer wieder neu entdeckt und formt.

Die neue digitale Welt, dieses globale Netzwerk von und für Menschen, ist eine pfingstliche Idee. Sie ist geboren aus dem jüdisch-christlichen Abendland und der westlichen Kultur, die die Idee einer Gemeinschaft von Gleichen feiert, der hierarchiefreien Diskurskultur, die in der Reformation ihren Anfang nahm, dem Individualismus, der das aufgeklärte Ich als autonom, selbstbestimmt und vernünftig beschreibt, und dem zukunftsfrohen Pragmatismus der säkularisierten protestantischen Kultur Nordamerikas.

Diese Vision einer weichen Technik, die das Individuum groß macht, wurzelt weiter im gesteigerten Narzissmus des amerikanischen New Age, das an die Verbundenheit aller Dinge mit allem glaubte, daran, dass alles mit allem zusammenhängt und alle Dinge einen göttlichen Kern haben, der es möglich macht, den Menschen und die Menschheit zum Göttlichen hin zu entwickeln. Hier nahm auch der quasireligiöse Vernetzungsgedanke seinen Anfang und die Idee einer permanenten Selbstoptimierung des Menschen durch Arbeit an sich selbst. Hier verbanden sich weltanschauliche, philosophische und technische Ideen zu einer neuen Generation von kreativen Weltverbesserern.

Weltwissen für alle

Die Visionen der digitalen Welt sind getragen von einem grenzenlosen Optimismus. Geradezu spielerisch wurde in den vergangenen Jahren die Einflusssphäre des Einzelnen immer wieder ausgebaut. Damit verband sich bereits bei der Erfindung der computergesteuerten Netzwerke Ende der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Hoffnung, einen Beitrag zur Würde des Menschen, zur Hebung unendlicher Ressourcen menschlicher Energie und Kreativität sowie zur friedlichen Koexistenz der Menschheit zu leisten.

Nun endlich hatte man die Technologie gefunden, die »bottom-up« die schweigende Masse zu Wort kommen lässt und das Weltwissen für alle zugänglich macht.

So ist eine der Wurzeln des Netzes in den amerikanischen Universitäten zu finden, wo Wissenschaftler mit dieser Technik ihren Informations- und Erkenntnisaustausch optimieren wollten. Sie waren befeuert von einer neuen Vorstellung von Wissensorganisation. Die neue Technologie sollte eine Reformation des Zugangs zu Wissen und damit zu öffentlichem und gesellschaftlichem Einfluss bewirken. Das Wissen der Welt sollte nicht mehr in traditionellen Wissenshierarchien nach der Metapher des Wissensbaumes von oben nach unten gereicht werden. Man suchte nach anderen Bildern und fand sie im Begriff des »Rhizoms« (Deleuze, Gilles/Guattari, Félix, Rhizom).

Rhizom ist ein Begriff aus der Biologie. Er bezeichnet ein Geflecht, das sich wurzelartig ausbreitet, dabei immer wieder Knoten bildet und von diesen Knoten aus vervielfältigt. Das schien den Vordenkern der Netzwelt eine passende Metapher für eine Welt, in der sie sich eine kulturelle Teilhabe und Vernetzung aller erträumten.



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