Die zweite Kreuzigung by Aufbau

Die zweite Kreuzigung by Aufbau

Autor:Aufbau
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Spionage, Belletristik/Krimis, Thriller
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2011-12-17T08:37:48+00:00


FÜNFZEHNTES KAPITEL

Die Wolfshöhle

Eine kurze asphaltierte Straße führte zu einem engen Durchschlupf im Unterholz, wo sich nackte Zweige unter verkrustetem Schnee bogen. Hier begann ein Pfad, der hinauf in die Berge führte. Er war etwas über einen Meter breit, und der Boden war hart gefroren, als kenne er keinen anderen Zustand. Ringsum war alles tief verschneit, die Bäume mit Raureif bedeckt, dessen spitze Kristalle in der kalten Luft funkelten. Gegen Abend hatte es aufgehört zu schneien.

Ilona steckte in einem dunkelgrünen Anorak, der besser für eine Bergtour geeignet war als die Fleecejacke, die sie zuvor getragen hatte. Sie hatte ein kleines Pony mitgebracht, das die notwendige Ausrüstung tragen konnte. Was Ethan nicht wusste: Sie hatte ihrer Familie kein Wort von ihrem Vorhaben gesagt. Hätte sie es getan, dann wäre sie daran gehindert worden, sich an einem solchen, in den Augen der Dorfbewohner von vornherein zum Scheitern verurteilten Unternehmen zu beteiligen. Den Dorfleuten, die sie fragten, antwortete sie, sie führe den Fremden zu einer kleinen Jagdhütte weiter oben, wo er geografische Recherchen für die Regierung zu erledigen habe. Sie hatte einen Spaten, eine Axt, zwei Jagdmesser, einen kleinen Lebensmittelvorrat und ein Zelt zusammengepackt und das Pony damit beladen. »Wenn wir irgendwo steckenbleiben, brauchen wir das Zelt zum Überleben. Aber ich werde nicht mit Ihnen schlafen, auch wenn Sie mir noch so viel dafür bieten«, hatte sie erklärt. Eine Spitzhacke, Schlafsäcke und zwei Helme mit Lampen vervollständigten die Ausrüstung. Dazu kamen ein paar Sachen, die Ethan noch nie gesehen hatte.

Das längere der beiden Messer mit einer fast fünfundzwanzig Zentimeter langen Klinge steckte sie in eine Tasche an ihrem Hosenbein. Als Ethan es erblickte, stieß er einen Pfiff aus.

»Haben Sie jemals so ein Messer benutzt?«, fragte er. »Das sieht ja furchterregend aus. Damit können Sie glatt einen Ochsen aufspießen …«

»Solche Messer hatte ich schon mit zehn Jahren in der Hand«, antwortete sie aufgeräumt und sicherte die Tasche mit einem Klettverschluss.

»Benötigen wir nicht auch Seile?«

»Wir gehen doch nicht zum Bergsteigen«, erwiderte Ilona. »Der Berg, auf dem das Schloss steht, ist rundum mit Wald bewachsen.«

Sie gingen unter den tiefhängenden Zweigen dunkler Tannen gebückt bergauf. Wenn der Ort Sâncraiu Ethan bisher still und verlassen erschienen war, wenn er Woodmancote zu Weihnachten für einen ruhigen Ort gehalten hatte, dann kamen ihm diese Vorstellungen in der Bergwelt, die sie umgab, geradezu absurd vor. Sie schritten im Gänsemarsch voran – Ilona vornweg, hinter ihr Ethan, gefolgt von dem Pony. So wenig, wie er von ihr wusste, konnte sie ihn sonst wohin führen. Ohnehin war kaum zu glauben, dass es in dieser Einöde eine menschliche Behausung, geschweige denn ein ganzes Schloss geben sollte.

Plötzlich erklang ein Heulen. Dann noch einmal. Ein zweites antwortete und klang ganz nah. Ilona hielt das Pferd an, strich ihm über den Kopf und flüsterte sanft mit ihm.

»Farkas«, sagte sie. »Ein Wolf.«

Ethan erschauerte. Um sich nichts anmerken zu lassen, versuchte er einen Witz.

»Kinder der Nacht«, ließ er fallen.

»Verzeihung, wie kommen sie jetzt auf Kinder?«

Er versuchte es ihr zu erklären, aber es funktionierte nicht. Vielleicht schauten sie in Transsilvanien keine Dracula-Filme.



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