Die zerbrochene Welt - Feueropfer by Ralf Isau

Die zerbrochene Welt - Feueropfer by Ralf Isau

Autor:Ralf Isau [Isau, Ralf]
Die sprache: de
Format: mobi, epub
ISBN: 9783492953757
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2011-12-29T17:43:37+00:00


19. Die Haremsdame

Die Bilder ähnelten sich. Die Luft war lau, die Stunde vorgerückt, Shúria trug nur ein hauchdünnes Kleid, wieder begleiteten sie vier Wächter. Die Blicke der Männer standen in ihrer Anzüglichkeit denen der Tempelwächter ebenfalls in nichts nach.

Doch einiges in dieser Nacht war anders. So durfte sie auf die Hurenschuhe verzichten, ihr duftiges Hemd wies ein paar kostbare Goldstickereien auf und die Begleiter gehörten der königlichen Leibgarde an. Einer von ihnen, ein junger Gardist mit schwarzem Lockenkopf, begegnete ihr sogar mit offenbar ehrlichem Respekt. Überdies musste sie keinen Säulengang durchschreiten, der Weg führte vielmehr vom Haus der Konkubinen durch einen Park ins Schlafgemach des Liebhabers. Immerhin sollte sie den Herrscher von Komana beglücken.

Die Gefährtinnen, die Og zur Verfügung standen, lebten auf dem weitläufigen Parkgelände je nach Stand in streng voneinander getrennten Gebäuden. Ganz oben in der fein abgestuften Hierarchie rangierten die Gemahlinnen erster Kategorie. Derzeit war dies nur ein knappes Dutzend. Dicht dahinter kamen die Nebenfrauen, offiziell angetraut und daher ebenfalls von hohem Ansehen. Die Königlichen Hetären konnten von einem Ehevertrag nur träumen. Sie waren gebildete, oft adlige und in jeder Form der Unterhaltung unterwiesene Edelhuren, die ausschließlich dem Herrscher zur Verfügung standen. Die größte und zugleich bunteste Gruppe bildeten die gewöhnlichen Konkubinen, die gelegentlich auch an verdiente Untertanen oder wichtige Staatsgäste ausgeliehen wurden. Insgesamt teilte Og sein Bett mit tausend Frauen. Shúria fragte sich, wie der fette Monarch so ein Pensum bewältigen mochte. Immerhin, er war noch jung.

Aufgrund ihrer unvergleichlichen Schönheit und besonderen Herkunft genoss sie einen Sonderstatus. Ihr Rang war dem einer Hetäre erster Klasse gleichgesetzt. Og gestand ihr sogar eine persönliche Leibdienerin zu. Ohne Zögern hatte sie sich für Siath entschieden, und so waren die beiden nach der Verlegung aus dem Haus der Bräute Dagons zusammengeblieben.

Dieser religiösen Einrichtung gegenüber bot der königliche Harem zwar noch mancherlei andere Vorzüge, dennoch blieb er ein goldener Käfig. Nur eine verschwindend geringe Zahl von Gespielinnen des Monarchen befand sich freiwillig hier. Da erstaunte es kaum, dass Ari auch unter den säkularen Hetären schnell viele Freundinnen fand. Nach nur drei Tagen hatte er die meisten um den Finger gewickelt.

Die Gardisten geleiteten Shúria auf einen breiten, von Laubbäumen gesäumten Weg. Früher sei Lebesi des Öfteren in der Allee gelustwandelt, hatte der für sie zuständige Abteilungseunuch bei der Einweisung erklärt.

Sie wankte. Das gehörte nur bedingt zu ihrer Rolle. Shúria fürchtete, es mit den giftigen Kräutern diesmal übertrieben zu haben. Der Schwindelanfall wollte gar kein Ende nehmen …

Plötzlich spürte sie eine Hand an ihrem Ellbogen. »Geht es Euch gut?«, fragte der junge Lockenkopf.

Sie brachte ein Lächeln zustande und spielte das Dummchen. »Irgendwas ist mit mir. Ich weiß nur nicht … was.«

»Sicher nur die Aufregung. Wie ich hörte, ist es Eure erste Nacht mit dem König.«

Shúria senkte den Blick und nickte scheu. Sie hatte das Gefühl, wie ein Stück Kohle zu glühen.

Vom Meer aus betrachtet glich der Palast von Peor einem großen Wagenrad: Die vier Speichen waren Gebäudeflügel, die Felgen ein umlaufender Baumring. Im Gegensatz zu seiner Mutter, die der schönen Aussicht den Vorzug gegeben hatte, befand sich Ogs Schlafgemach zu ebener Erde.



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