Die verborgene Seele der Kühe: Das geheime Leben von Rindern, Hühnern, Schweinen und anderen Hoftieren (German Edition) by Jeffrey Moussaieff Masson

Autor:Jeffrey Moussaieff Masson [Masson, Jeffrey Moussaieff]
Die sprache: deu
Format: azw3
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2018-02-11T16:00:00+00:00

Vor Kurzem besuchte ich die Politologie-Professorin Marilyn Waring von der Massey University in Auckland. Ihr Name ist jedem Neuseeländer bekannt, denn sie brachte als Abgeordnete 1984 die konservative Regierung von Robert Muldoon zu Fall. Während des Wahlkampfs verließ sie das Land, damit nicht ihre Person, sondern die Wahl selbst im Mittelpunkt stand. Nach der Rückkehr wollte sie ihren Traum vom ländlichen Leben verwirklichen. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich von der Arbeit im Parlament zu erholen, indem sie auf einer Farm lebte, und zwar in der besten Gesellschaft überhaupt: der von Ziegen. Zuerst kaufte sie eine Farm in Port Albert, dann in Wainui außerhalb von Auckland, sowie zweihundert Ziegen.

»Warum gerade Ziegen?«, fragte ich sie, obwohl ich ihre Antwort schon ahnte.

»Ich war jahrelang gegängelt worden und zu dem Schluss gekommen, dass ich das nicht mehr wollte. Ziegen würden mich als ihr Leittier akzeptieren und meine Nähe suchen, wann immer sie konnten. Obendrein sind sie lustig, immer zu Späßen aufgelegt, erfinderisch, amüsante Gesellen, niedlich anzuschauen; sie haben ein gutes Gedächtnis, mögen Neckereien – und o ja, sie sind klug. Sehr klug sogar.« Sie überlegte kurz und fügte dann hinzu: »Außerdem bringen sie einem unbedingte Liebe entgegen.«

»Wie Hunde?«, hakte ich sofort nach.

»Sie sind schlauer und interessanter als Hunde«, erwiderte Waring. Ich war mir sicher, dass meine Hunde immer genau wussten, wann ich ihnen zu helfen versuchte, von einer Verletzung oder einer Krankheit zu genesen, und hielt sie deshalb für ziemlich schlau, vielleicht sogar für klug. Waring zufolge sind Ziegen genauso: »Wenn ich einer Ziege helfe, vergisst sie das niemals. Ich hatte eine wunderbare Geiß mit Namen Jean. Sie kümmerte sich sehr um ihre Freunde und behielt sie im Auge. Sie war eine Angoraziege mit langem, wunderbarem Haar. Oft verhedderten sich ihre Freunde mit dem langen Fell in Brombeersträuchern, und je ungestümer sie sich zu befreien versuchten, desto schlimmer wurde es. Jean wusste genau, was da schiefgelaufen war, rannte zurück zum Haus und fing an zu meckern.« Waring konnte viele verschiedene Meckerlaute unterscheiden, und hier handelte sich um jenen, der »Bitte hilf!« signalisierte. Sie folgte Jean und fand eine leidende und hilflose Ziege, die geduldig auf Beistand wartete. Dieser Beistand wurde noch mehr geschätzt, wenn die Geißen Junge warfen und dabei manchmal in Schwierigkeiten gerieten. Die Laute eines Zickleins in Nöten sind äußerst beunruhigend, denn sie schreien genauso wie menschliche Babys. Waring wurde bisweilen zu einer Geburtshelferin, woraufhin die Muttertiere ihr die Hände leckten, was man nur als Ausdruck der Wertschätzung umschreiben kann. Sie waren zweifellos dankbar und vergaßen nie die Unterstützung, die ihnen zuteil geworden war. »Sei artig«, schienen sie ihren Jungen mitzuteilen, »sie war für euch da.« Eines ist sicher: Obwohl Ziegen ihrem Gegenüber gern einen Stoß mit den Hörnern versetzen, taten sie das mit ihrer »Herrin« noch nie.

Waring und ich sind entzückt davon, dass Ziegen eine Art Kinderkrippe unterhalten. Geißen säugen die Jungen nur drei oder vier Mal täglich und haben das dringende Bedürfnis, bei erstbester Gelegenheit von ihnen wegzukommen. Plötzlich stehlen sie sich davon, um irgendwo eine saftige Wiese zu finden.

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