Die UNO by Klaus Dieter Wolf
Autor:Klaus Dieter Wolf
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406689949
Herausgeber: C.H.Beck
4. Staatenreparatur und Demokratisierung: die Friedensmissionen der Vereinten Nationen vor neuen Aufgaben
Zu denjenigen Entwicklungen, die von den Gründern der Vereinten Nationen wahrscheinlich am wenigsten antizipiert wurden, zählt ohne Zweifel die heutige Praxis der Entsendung von Friedensmissionen. Nicht allein die Tatsache selbst, dass sich das Instrument der Blauhelme-Einsätze nirgendwo in der Charta finden lässt, sondern vor allem die sukzessive Ausweitung des Aufgabenkatalogs, der Einsatzmittel und der Einsatzgrundsätze konnte kaum vorhergesehen werden. Sie offenbart aufs Neue, in welchem Umfang die Bewältigung innerstaatlicher Konflikte der klassischen Aufgabe der Vereinten Nationen, Streitigkeiten zwischen Staaten beizulegen, inzwischen den Rang abgelaufen hat. Die schutzbedürftigen Adressaten der Friedensmissionen sind heute kaum noch Staaten, aber immer häufiger deren Bevölkerungen. Mit dieser Neubestimmung der Sicherheitsproblematik als existenzielle Bedrohung des einzelnen Menschen sind die Grenzen zwischen den sicherheitspolitischen und den humanitären Aufgaben und Einsätzen der Vereinten Nationen verschwommen, mitsamt der Regeln, denen sie jeweils folgen sollten.
Das klassische peace-keeping galt der Überwachung von Waffenstillständen oder der Einrichtung von Pufferzonen zwischen den Konfliktparteien. Es erfolgte auf Beschluss des Sicherheitsrats, setzte die Zustimmung aller Konfliktbeteiligten voraus und beschränkte sich auf leichtbewaffnete militärische Einheiten, Polizisten oder ziviles Personal, die von den Mitgliedstaaten, aber – um die Akzeptanz zu erhöhen – nie von den Großmächten bereitgestellt wurden. Der Einsatz von Waffengewalt durfte lediglich der Selbstverteidigung dienen. Die vermeintliche Neutralität der Einsätze muss allerdings ebenso wie die Vorstellung, dass es sich dabei nicht um Interventionen handelt, als eine Fiktion betrachtet werden. Mit ihrer Aufgabe, die streitenden Parteien auseinander zu halten und eine Ausweitung des Konflikts zu vermeiden, um zur Stabilisierung der Konfliktsituation beizutragen, ergriffen Friedensmissionen schon immer auch und unausweichlich Partei – für die Stabilisierung des Status quo. Die Blauhelme wurden nur in solchen Konflikten eingesetzt, in denen sich bereits eine Annäherung zwischen den Konfliktparteien abzeichnete. Sonst hätten diese der Entsendung auch kaum zugestimmt, außerdem hätten sich die kaum bewaffneten Friedenstruppen der Gefahr ausgesetzt, selbst zur Zielscheibe zu werden.
Seit der Entsendung der ersten Beobachtermission zur Überwachung des Waffenstillstands zwischen Israel und seinen Nachbarn (UNTSO) im Jahr 1948 sind die peace-keeping operations der Vereinten Nationen in ihrem Umfang, ihren Funktionen, aber vor allem hinsichtlich ihrer Geschäftsgrundlagen in völlig neue Dimensionen vorgestoßen. Damit haben sie die UNO allerdings auch an den Rand der politischen und finanziellen Leistungsfähigkeit geführt. Im Juni des Jahres 2015 waren über 105.000 Soldaten und Polizeikräfte aus 122 Mitgliedstaaten in 16 gleichzeitig laufenden UNO-Friedensmissionen im Einsatz. Hinzu kamen im Zivilbereich weitere 17.000 Personen. Die größten Kontingente umfassten die MONUSCO-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Truppenstärke über 18.000), die zusammen mit der Afrikanischen Union durchgeführte UN-AMID-Mission in Darfur (über 14.000) und die UNMISS-Mission im Südsudan (über 11.000).
Solange sich die friedenssichernden Operationen auf Einsätze beschränkten, bei denen die Konfliktparteien bereits gewillt waren, einen zwischen ihnen bestehenden Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen, reichte die klassische Geschäftsgrundlage der Blauhelme-Einsätze («mit Zustimmung und ohne Gewalt») noch aus, ebenso für Einsätze mit dem Ziel der Friedenskonsolidierung nach erfolgreicher Beendigung eines Konflikts (peace-building). Diese Geschäftsgrundlage genügte jedoch schon nicht mehr für erweiterte Friedenssicherungsmissionen zur militärischen Absicherung von humanitären Hilfstransporten und bot
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