Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition) by Pasini Giuliano

Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition) by Pasini Giuliano

Autor:Pasini, Giuliano [Pasini, Giuliano]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492962933
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2013-10-14T22:00:00+00:00


4. JANUAR 1995, MITTWOCH

DER STRUDEL

1

Roberto erwacht von der Kälte. Die roten Ziffern auf der Anzeige der Stereoanlage besagen, dass es kurz vor sieben ist. Alice ist nicht mehr im Bett, bei ihm. Er sieht sie am Schreibtisch sitzen, nackt.

»Ich muss los«, flüstert sie. »Um acht muss ich im Krankenhaus sein.«

Roberto fühlt sich, als hätte sie ihn mit einem Kübel Eiswasser übergossen.

»Warte. Ich mache Frühstück.«

Sie beginnt, sich anzuziehen. »Ich muss mich beeilen.«

Ein Abgrund tut sich zwischen ihnen auf. »Du bist ja wie ausgewechselt. Warum machst du das? Ich bin schließlich kein Fremder, mit dem du zufällig im Bett gelandet bist.«

Alices Wangen erglühen. Die Lippen verziehen sich zu einem bitteren Lächeln, während sie in ihre Jeans gleitet. »Ich weiß sogar zu gut, wer du bist. Was uns auseinandergebracht hat, ist lebendig und gegenwärtig.« Sie zeigt im Zimmer herum. »Hier, im Zimmer, zwischen uns.« Ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Ich habe dich gesehen. Ich habe … den Tanz gesehen.«

Roberto kann kaum sprechen. »Es wird nicht so sein wie früher«, hört er sich sagen, als spräche jemand anderes an seiner Stelle.

Sie schüttelt den Kopf. »Es wird genauso sein wie früher. Du tust nichts, um gesund zu werden. Es gibt bestimmt etwas, das man tun kann. Du hoffst einfach nur, dass deine Krankheit von selbst verschwindet oder dass du einen Weg findest, sie zu kontrollieren. Das wird nicht passieren. Du musst kämpfen, geh zu einem Arzt, lass dich untersuchen. Kümmer dich darum.«

»Ich hab unzählige Pillen geschluckt, und nie haben sie was genützt«, entgegnet er schwach. »Und kein Arzt hat jemals eine überzeugende Erklärung gefunden.«

Es war ausgerechnet einer der vielen Psychiater, die versuchte hatten, ihn zu heilen, der die Formulierung »der Tanz« geprägt hatte, weil es in der medizinischen Fachliteratur keinen passenden Begriff für das gab, was mit ihm geschah. Eine andere Größe von internationalem Ruf hatte nur die Achseln gezuckt, nachdem er ihn allen möglichen Tests unterzogen hatte. »Grand Mal?«, hatte er vermutet, wenig überzeugt, aber unfähig zu akzeptieren, dass er das Rätsel nicht lösen konnte. Aufgrund dieser spontanen Diagnose war Roberto auf Epilepsie behandelt worden in den wenigen Jahren, die er nach dem Tod seiner Eltern bei Onkel und Tante mütterlicherseits aufgewachsen war. Er hatte Valproat genommen und Carbamazepin und sich einer Computertomografie unterzogen, einer Radiografie und Kontrollen, Tests, Visiten. Die Resultate waren gleich null gewesen. Dieselbe Größe hatte sich noch weiter vorgewagt und Therapien empfohlen, die heute nicht mehr angewandt wurden, die aber, wie er sagte, in der Vergangenheit in den schwersten Fällen von Epilepsie sehr gute Ergebnisse gebracht hatten. Elektroschocks zum Beispiel oder die noch tiefgreifendere Leukotomie des Frontallappens, die Lobotomie.

Das war der Moment, in dem Roberto aufhörte, auf die Ärzte zu hören. Es war alles vergebens gewesen. Ob er sich behandeln ließ oder nicht, der Tanz manifestierte sich so oder so, unvorhersehbar und unkontrollierbar. Es begann immer mit dem Geruch nach verrotteten Blumen, den er mit schwülen Nachmittagen auf dem Friedhof verband. Sofort verspannten sich alle Muskeln. Jeder Zentimeter seines Körpers wurde von einer schmerzhaften Spannung heimgesucht. Auch das Gesicht, so sehr, dass es sich zu einer Grimasse verzog.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.