Die Tochter der Tibeterin by Cesco Federica de

Die Tochter der Tibeterin by Cesco Federica de

Autor:Cesco, Federica de [Cesco, Federica de]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-01-26T16:00:00+00:00


21. Kapitel

Ich hatte schon einige seltsame Erfahrungen hinter mir. Ein besonders eigenartiges Erlebnis jedoch war, hinter einem Mönch auf einem Motorrad querfeldein durch das Hochland von Kham zu brausen. Der Besitzer der Maschine nahm alle Hindernisse im direkten Ansturm. Seine scharlachrote Robe flatterte im Wind, er beugte sich tief über das Fahrzeug, und seine kräftigen Arme lenkten die klapprige Maschine wie seine Vorfahren, die Hirtennomaden, ihre wild galoppierenden Pferde. »Ich kann fahren, Sie brauchen keine Angst zu haben!«, hatte der verrückte Kerl gesagt. Das konnte er tatsächlich. Im Moto-Cross wäre er auf Platz 1 gelandet. Inzwischen klammerte ich mich an ihm fest und sah die Berge tanzen. Die alte Maschine ratterte und bebte. Jedes Mal, wenn die Räder über ein Schlagloch krachten, sah ich im Geist das Motorrad explodieren. Dass dieses verlotterte Monstrum eine solche Fahrt aushielt, grenzte an ein Wunder.

Schon war Lithang mit seinem Elektrizitätswerk, seiner Zementfabrik und seinen Telegrafenmasten hinter den Hügeln verschwunden. Die Wege - Pfade eigentlich - waren gewunden und schmal, von Menschen- und Tierfüßen seit Generationen festgetrampelt. Hopsend, kurvend, knatternd ging es weiter über Stock und Stein, bis wir endlich an einer windgeschützten Stelle Halt machten und ich mit Argwohn meine schmerzenden Knochen betastete. Der junge Mann bot mir ein brotähnliches Gebäck an, dazu Cola aus der Dose. Er zündete eine Zigarette an (durften Mönche eigentlich rauchen?) und ich erfuhr einiges über ihn. Er stammte aus einem Dorf, das Gonkgar-Sha hieß, und war einst Mechaniker gewesen, ein Beruf, mit dem er durch seinen Eintritt ins Kloster Schluss gemacht hatte. Aber seine Leidenschaft für alles, was einen Motor und zwei Räder hatte, war geblieben. Am liebsten nahm er alte Motorräder auseinander und baute neue daraus. Das, auf dem wir gerade über das Hochland flitzten, war bereits seine vierte Kreation und - ließ er mich stolz wissen - eindeutig die schnellste.

»Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich den Entschluss fasste, ins Kloster zu gehen. Das war, als meine junge Schwester im Krankenhaus irgendeine Spritze bekam und ihr ungeborenes Kind verlor. Und inzwischen hing ich in einer Garage herum, die einem Chinesen gehörte!«

»Ich verstehe.«

Dorje nickte finster, die Kippe im Mundwinkel.

»Ich hielt mich nie für einen Angehörigen der chinesischen Nation. Aber mein Land war ein Teil von China, ob es mir gefiel oder nicht. Es gab jedoch einen Ort, wo der Mensch nicht einer Produktionseinheit gehörte, sondern im Mittelpunkt der Welt stand. Wenn ich meinen Glauben nicht hätte, würde ich jetzt Hundefleisch essen.«

Er war vor fünf Jahren ins Kloster eingetreten, hatte seinen ursprünglichen Namen Osher abgelegt. Er nannte sich fortan Dorje, was »Donnerkeil« bedeutet, studierte die alten Schriften und lebte sehr erfüllt.

»Ich wusste sofort, hier ist mein Platz. Alles, was man zum Leben braucht, habe ich. Dazu kommt, dass ich gut mit Werkzeugen umgehen kann und ständig Arbeit habe, weil die meisten Mönche so ungeschickt sind. Eigentlich gehört das Motorrad dem Kloster. Aber die Mönche wissen ja nicht, wie man die Kupplung schaltet!«

Dorje kicherte, obwohl ihm der Sinn nicht nach Lachen stand. Seine Mutter war seit Wochen krank. Die tibetischen Mittel halfen nicht mehr.



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