Die Spur der Zugvoegel by Anne Kuhlmeyer

Die Spur der Zugvoegel by Anne Kuhlmeyer

Autor:Anne Kuhlmeyer [Kuhlmeyer, Anne]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-10-14T16:00:00+00:00


14

Die Nacht kam plötzlich, mit dem nächsten Schauer war sie da. Ich hielt auf einem Parkplatz für Wanderer. Neben der Straße glänzte eine schwarze Wasserfläche, deren Grenzen draußen in der Finsternis verschwammen. Die Zeit verrann, längst müsste ich zu Hause sein. Zuhause war ein Wort, das meinen Mund füllte und die Brust, und in meinem Schädel hin und her schwappte. Ich lehnte ihn gegen die Kopfstütze. Ausruhen, einen Moment. Einen Schluck aus der Brandy­flasche, sie war fast leer. Zuweilen hatte ich gedacht, ich hätte es gefunden, das Ausruhen und das Zuhause, in diesen ersten sonnendurchfluteten Tagen, in denen Honey oft nichts trug, als ihre samtene Haut …

Ich hatte gewartet, und sie war gekommen, an einem Morgen so licht wie das Gewand der Aphrodite. Sie schob Bücher und Laptop beiseite, ließ ihren Rucksack auf einen Küchenstuhl fallen und packte Bier und frische Brötchen auf den Tisch.

»Hier bin ich.« Ihr honigbraunes Strahlen.

»Ja.«

Da stand sie mit ihrem roten Kleid in meiner Küche und verströmte den Duft von frischem Heu. Ich sah den Staub und das Geschirr in der Spüle. »As tears go by«. Ich hätte etwas anderes auflegen sollen. Der letzte Ton verklang, und ich konnte meinen Blick nicht abwenden.

»Jetzt wäre rein dramaturgisch der Moment für den Kuss gekommen.« Sie legte den Kopf schief, und ein Lachen zuck­te in ihren Mundwinkeln. Es strahlte mich an, dann fühlte ich es unter meinen Lippen.

»Und jetzt«, fragte ich nach einer Unendlichkeit und während sich mein Mund über ihren Hals tastete, »wie geht es jetzt weiter, rein dramaturgisch?« Ich hätte mit ihr nicht so viel über meine Arbeit reden sollen, überhaupt hätte ich nicht so viel reden sollen. Es ging weiter, schweigend und gierig und ganz anders als mit Isabell.

Ich hielt inne. Die Sonne brannte auf meinen Rücken, ich spürte ihre Nägel, die Luft zu dünn zum Atmen, mein Schweiß kalt im Nacken. Inzwischen spielten die Stones »Sympathy for the devil«. Ich kauerte mich auf den Bett­rand und versuchte an so viel Luft zu kommen, dass sie wenigstens zum Sitzen ausreichte. Meine Erektion schwand. Isabell. Ihr Bild blitzte auf, das letzte. Der Tod brauchte keine Liebe.

Im Bad und nach einigen Händen voll Wasser im Gesicht beruhigte sich mein Puls. Aber hier konnte ich nicht bleiben, nicht lange. Kaum noch zitternd öffnete ich in der Küche zwei Flaschen Bier, atmete, wartete und ging zurück ins Schlafzimmer. Sie lag da wie die Göttin persönlich, nur fülliger, als antike Gottheiten in meiner Vorstellung zu sein pflegten.

»Am besten wir fangen noch mal ganz von vorn an«, sagte ich, reichte ihr eine der Flaschen und stieß meine dagegen. Von vorn anfangen, immer und immer wieder bis es nicht mehr ging. Isabells Lippen schmal und bleich unter den Wassern.

»Wie oft müssen wir noch?« Ein Beben zwischen ihren Worten. Sie hatte Recht. Oder vielmehr: Wie oft konnten wir noch? Die Beinahe hatten die Tage verzehrt, Lebenszeit verschlungen. Das wollte ich nicht mehr. Ich wollte, dass sie blieb, dass irgendwer je blieb. Die Sonne hatte das Viereck auf dem Bett ein Stück weiter nach Westen verschoben.



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