Die Siliziuminsel by Qiufan Chen

Die Siliziuminsel by Qiufan Chen

Autor:Qiufan Chen
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Science Fiction
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2019-09-09T12:06:20+00:00


Es war keine offizielle Webseite, sondern eher eine Wiki-Datenbank, die fanatische Nerds aufgebaut hatten, mit bunt durcheinandergewürfelten Texten, Bildern, Zeittafeln und Videos. Scott scrollte sich rasch durch die Seite. Viele Artikel waren an den Haaren herbeigezogen und speisten sich aus Verschwörungstheorien, die ihm nur allzu bekannt waren – Hirngespinste von Leuten, die krankhaft verzerrte Vorstellungen von der menschlichen Geschichte hegten.

Die Webseite war eine ganze Weile nicht mehr aktualisiert worden. Trotzdem fand Scott, was er suchte.

Ein fünfzehnminütiges Einführungsvideo.

Den Anfang bildete ein Ausschnitt aus einer grobkörnigen Schwarz-Weiß-Dokumentation: ein Kriegsschiff, das auf hoher See Feuer gefangen hatte und langsam in den grauen Flammen versank.

Texteinblendung: Am 3. März 1943 zerstörte ein amerikanischer B-25C-Mitchell-Bomber (Spitzname: »Quasselstrippe«) während der Schlacht in der Bismarcksee das Steuerruder des japanischen Zerstörers Arashio (»Waste Tide«). In der Folge kollidierte die Arashio mit einem anderen Schiff und versank schließlich 55 Seemeilen südöstlich von Finschhafen (Neuguinea) im Meer. Alle 176 Überlebenden wurden gerettet außer dem Kapitän, Korvettenkapitän Hideo Kuboki.

Auf dem Bildschirm erschien ein Foto von Kuboki in Uniform, ehe der Schauplatz zu einem Laboratorium wechselte, das zu einer Universität zu gehören schien. Eine schöne Asiatin beobachtete aufmerksam die Apparatur vor sich, während sie von Zeit zu Zeit ein paar lautlose Worte mit dem Kameramann wechselte.

Nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg ging Kubokis Verlobte Seisen Suzuki in die USA, um ihre Studien fortzusetzen. Sie wurde amerikanische Staatsbürgerin und promovierte in Biochemie an der New Yorker Columbia University. 1952 initiierte sie im Dienst des amerikanischen Militärs ein streng geheimes Projekt. Im Gedenken an ihren Verlobten, der auf dem gleichnamigen Schiff den Tod gefunden hatte, nannte sie das Projekt »Waste Tide«.

Endlich verstand Scott, woher die geheimnisvolle Stiftung der Aktionäre von Wealth Recycle ihren Namen hatte.

Die nächste Videosequenz trug den Titel »US-Militär, Top Secret«. Anscheinend war sie mit einer fest installierten Kamera aufgenommen worden. Eine Zeitanzeige in der rechten unteren Bildecke verriet, dass die Sequenz mehrere Dutzend Mal schneller ablief als in Echtzeit. Den Hintergrund bildete ein Geheimzimmer; die Linse war auf einen Einwegspiegel an der Wand gerichtet, auf dem sich die gegenüberliegende schaurig leere Wand spiegelte.

Zwischen 1955 und 1972 führte Projekt Waste Tide in Maryland Experimente an Strafgefangenen durch, die zum Tod oder zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren. Das Ziel war es, halluzinogene Waffen zu entwickeln, die sich in großem Maßstab einsetzen ließen, um Kriege zu gewinnen, ohne auch nur einen Schuss abzufeuern. Die Forscher erprobten diverse natürliche und synthetische Präparate und entschieden sich schließlich für Benzilsäureester oder QNB, das als Aerosol über die Haut oder über die Atmungsorgane aufgenommen werden kann.

Ein Mann in Häftlingskleidung wurde in den Raum geführt. Er setzte sich vor den Einwegspiegel. Das Video lief immer noch mehrfach beschleunigt, und der Gefangene zuckte, als wäre er von Krämpfen geschüttelt. Er konnte nicht eine Sekunde stillhalten, als wäre der leere Raum von unsichtbaren Monstern bevölkert, die seinen Verstand zerrütteten und seine Sicherheit bedrohten. Er stieß stumme Schreie aus, schlug seinen Kopf gegen die Wand, raufte sich die Haare aus, wälzte sich am Boden und zerriss seine Kleidung zu Fetzen, während Wellen von weißem Rauschen über die Aufnahme wogten.



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