Die Schwesternschaft by Roger R. Talbot

Die Schwesternschaft by Roger R. Talbot

Autor:Roger R. Talbot [Talbot, Roger R.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-10-14T16:00:00+00:00


35

Dublin, »Hotel Fitzwilliam«

Mittwoch, 29. Dezember, 23.55 Uhr

Lena schob den schweren Vorhang im Zimmer Nummer 101 beiseite und sah hinaus. Es regnete. Sie zog ihn wieder zu und nahm am Schreibtisch Platz, wo der Bildschirm ihres PDAs einen schwachen Lichtschimmer in das dunkle Zimmer warf. Die noch geöffnete Bilddatei zeigte den Bühnenprospekt in perfekter Auflösung.

Wenn sie bis zum Ende zoomen würde, wäre alles bis ins kleinste Detail zu erkennen. Sie erinnerte sich daran, als sie den Prospekt zum ersten Mal gesehen hatte, im Bunker, gemeinsam mit Gavril. Sie hatte ihre Überraschung gut überspielt. Für die Schwestern des Mahls war die Legende von dem Bühnenprospekt von ebenso großer Bedeutung wie die des Heiligen Grals für die Ritter der Tafelrunde, auch wenn keine von ihnen jemals danach hatte suchen müssen. Als Lena den Prospekt zu Gesicht bekam, hatte sie ihn daher sofort erkannt. Alles Weitere hatte sich dann wie von selbst ergeben.

Yana hatte ihr viele Jahre zuvor davon erzählt, und zwar mehr als einmal. Die Schwestern hüteten ein jahrhundertealtes Geheimnis. Es handelte sich um ein Rezept, dessen Zutaten nach den Angaben dosiert wurden, die in die Tafeln des Buches der Blätter gemeißelt waren, einer großen Steinscheibe aus der keltischen Jungsteinzeit mit der symbolischen Darstellung des uralten Kalender-Alphabets Beth-Luis-Nion. Es hieß, dass die Lage des Steines, die nur der Spitze − den sogenannten drei Besten − bekannt war, während des Zweiten Weltkrieges durch eine russische Bühnenbildnerin, eine der damaligen drei Besten, in Ogham-Zeichen verschlüsselt und auf einem Bühnenprospekt verewigt worden war. Der Prospekt ging während der Belagerung Leningrads verloren, aber laut der Legende existierte er noch. An diese Geschichte hatte keine so richtig geglaubt, nicht einmal sie. Aber in Gavrils Bunker war die Legende plötzlich Wirklichkeit geworden.

Lena hätte Yana, ihrer Mentorin, gleich Bescheid geben müssen, doch ihr Entschluss, das Geheimnis für sich zu behalten, stand von Anfang an fest. Sie würde das Buch der Blätter in ihren Besitz bringen, zusammen mit der Macht, die sich daraus ergab.

Leider war Catherine vor ihr dort gewesen. Und so hatte letztlich der Bühnenprospekt sie dazu gebracht, ihr Vorgehen gegen Gavrils Frau zu beschleunigen. Es war klar, dass die Rivalin ihn erkennen und das Mahl darüber in Kenntnis setzen würde. Sie musste daher schnell handeln, Catherine töten und den Bühnenprospekt stehlen. Aber etwas war schiefgelaufen. Gavril hatte es durchschaut. Sie hatte keine Ahnung, wie er auf Glebov gekommen war, aber er hatte es durchschaut. Und auch hier hatte sich alles Weitere wie von selbst ergeben.

Zu alledem war er nicht einmal tot. Mit jedem Tag, der verging, stieg für Lena die Gefahr. Sie war sicher, dass Kirill ihr auf den Fersen war. Und in Kürze würden das auch die drei Besten sein. Catherines Unfall und Gavrils Vergiftung waren ihnen sicherlich nicht entgangen. Aber es gab keinen anderen Weg.

Einen Augenblick lang fragte sie sich, warum sie hier war, in einem Hotel in Dublin, in Begleitung von drei, wenn auch treu ergebenen Killern, während draußen der Regen auf die Straßen prasselte.

Wenn die Dinge anders gelaufen wären, hätte sie jetzt vielleicht in Gavrils Armen gelegen und sich verwöhnen lassen wie kaum eine andere Frau auf der Welt.



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