Die schwedischen Gummistiefel by Henning Mankell
Autor:Henning Mankell
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783552058088
Herausgeber: Paul Zsolnay Verlag Wien 2016
veröffentlicht: 2016-04-20T00:00:00+00:00
15.
Als ich zur Rezeption herunterkam, bat ich Monsieur Pierre um die Telefonbücher von Paris. Er erbot sich sofort, die Nummer auf seinem Computer herauszusuchen. Ich lehnte dankend ab, weil ich nicht verraten wollte, dass ich nach verschiedenen Gefängnissen und Polizeirevieren in Paris suchen musste.
Ich bekam die schweren Bände und setzte mich in die geschlossene Bar, nachdem ich Monsieur Pierre um Papier und Bleistift gebeten hatte. Fast eine Stunde lang blätterte ich nach Adressen und Telefonnummern und notierte sie.
Ich fand auch den Namen des Gefängnisses, in dem ich selbst im Frühjahr 1968 einen Nachmittag, eine Nacht und ein paar Morgenstunden verbracht hatte. Dass mein Besuch mit den Studentenprotesten zusammenfiel, hatte ich erst festgestellt, als ich in Paris angekommen war und nach einer billigen Pension in der Umgebung des Quartier Latin suchte. Ich landete inmitten eines Chaos von brennenden Autos, Tränengas werfenden Bereitschaftspolizisten und einem kochenden Menschenmeer. Natürlich kannte ich die Studentenbewegung in Europa, hatte mich ihr aber nicht angeschlossen. Ich hatte gerade meine Ausbildung als Arzt begonnen und nahm nie an den politischen Gesprächen teil, die hier und da in der Kantine oder in den Pausen zwischen den Seminaren geführt wurden. Denjenigen, die Ãrzte werden wollten, um in arme Länder zu reisen, misstraute ich. Ich wollte Arzt werden, um ein gutes Gehalt und die Freiheit zu erhalten, meinen Arbeitsplatz selbst zu wählen. Der Gedanke, nach Afrika oder Asien zu reisen, war mir völlig fremd. Ich fand Kommilitonen, die erwogen, Aufgaben in fernen Ländern zu übernehmen, nur naiv und dachte, sie würden es später sicherlich bereuen. Heute ahne ich, dass ich unrecht hatte.
Ich war nach Paris gefahren, um dort eine Frühlingswoche zu verbringen, nachdem die Examen des Jahres überstanden waren. Ich reiste allein und freute mich, ziellos durch die StraÃen flanieren und in die Anonymität der groÃen Stadt eintauchen zu können.
Schon am ersten Tag in Paris wurde ich von der Polizei festgenommen und in einen groÃen dunkelblauen Kastenwagen mit Polizeiemblem und vergitterten Fenstern geschubst. Ich hatte eine kleine heruntergekommene Pension in der Nähe der Sorbonne gefunden und war zum Essen ausgegangen. In der Umgebung gab es an diesem Abend keine Demonstrationen, es brannten keine Autos, und Bereitschaftspolizisten waren auch nicht aufgestellt. Ich bog aufs Geratewohl in eine QuerstraÃe ein, in der es ein paar Restaurants gab, wie ich mich erinnerte. Die StraÃe war sehr kurz, und als ich einige Schritte gegangen war, kamen plötzlich Polizeiautos an und riegelten die beiden Enden der QuerstraÃe ab. Eine Menge Polizisten strömten aus den Wagen und verhaftete alle, die auf der StraÃe unterwegs waren. Ich bekam keine Erklärung, sondern wurde nur in einen der Bereitschaftswagen gestoÃen, der kurz darauf losfuhr. Wir, die da drinnen saÃen, waren eine seltsame Mischung. Männer und Frauen, französische Arbeiter, Studenten und ausländische Touristen. Niemand wusste, was vorgefallen war. Eine Frau weinte vor Unruhe. Ob ich selbst verängstigt oder nur erstaunt war, weià ich nicht mehr. Hingegen merkte ich, dass ich sehr hungrig war.
Erst am nächsten Tag bekam ich etwas zu essen. Wir wurden an der Sûreté Nationale auf der Ãle de la Cité zum Aussteigen aufgefordert, wo man uns in einen gigantischen, fensterlosen Keller stieÃ.
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