Die Schule der Nackten by Augustin Ernst

Die Schule der Nackten by Augustin Ernst

Autor:Augustin, Ernst [Ernst, Augustin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Literatur
Herausgeber: C. H. Beck
veröffentlicht: 2003-10-11T16:00:00+00:00


12

Sita, die Furche, die Schönhüftige, hat mir zwei Söhne geboren, beide Wohlgestalt an Leib und Seele. Bhanu, der ältere, geht mir schon zur Hand, wenn ich anschirre oder einen schwarzen Stein auf den Hof rolle, dann rollt er handfest mit. Shashim dagegen, der jüngere, scheint geistiger veranlagt, schaut immer zur Seite, als ob da etwas wäre, das wir nicht sehen, und vielleicht ist da wirklich etwas. Etwas Gutes. Ich darf sagen, daß ich Freude an meinen beiden Söhnen habe. Freude an meiner Frau, meinem Haus, meinem Gewerbe, ich mache den Ganesh, ich mache auch andere schöne Figuren, aber den Ganesh mache ich am besten, in jeder Größe, aus schwarzem Speckstein, aber auch aus grünem, oder sehr große aus Tuff.

Ich bin ein glücklicher Mensch, ich schwimme in einem Meer des Glücks, das mir meine Frau beschert, die Allerschönste der Welt. Sie heißt Sita, benannt nach der Göttin der Fruchtbarkeit und des Stundenglases, als ich sie zum ersten Mal sah, fielen mir die Augen aus dem Kopf – sie fielen mir wahrscheinlich in den Schoß, und dort liegen sie immer noch. Ich weiß nicht, was andere Männer empfinden, wenn sie sie sehen, ich will es auch nicht wissen. Ich empfinde nur Glück, ein nicht enden wollendes, von der Urzeit meiner Existenz bis in alle Ewigkeit reichendes Glück. Mögen die heiligen Männer das Nichtsein anstreben, ich bin nicht heilig und will nichts als sein. Mit ihr. Mit Sita, der Schönen.

Aber jetzt ist es Abend. Die goldene Lehmfarbe meines Hauses verdunkelt sich, draußen vom Meer rollt eine lange schwarze Dünung herein, es ist fast windstill, so daß ich das Klappern und Singen aus dem Dorf hören kann, obwohl es fast zwei Wegstunden entfernt ist – man klopft dort die Pilger zurecht, die eine Woche lang nicht schlafen dürfen. Bis sie in ihrer eigenen Haut kaum noch vorhanden sind. Mit mir hat man einmal das gleiche getrieben, als ich noch heilig werden sollte, mir Tag und Nacht die Ohren zugegellt, heilig bin ich nicht geworden, und zu essen gab es auch nichts.

Mein Haus hat eine Dachterrasse, auf der ich sitze. Hier oben ist es noch hell, aber unten liegen schon die violetten Schatten, und im Hof sind sie schwarz, ich sehe da unten den kleinen Shashim als Püppchen, und der handfeste Bhanu ist auch nicht weit, ich höre ihn rumoren, aber wo ist Sita, meine Frau, die Schönhüftige? Wo ist sie? Mein Haus ist ein Steinwürfel über dem Strand, fast quadratisch im Grundriß, mit einem Lichthof in der Mitte, mehr einem Schacht gleichend, in dem die Hausfrau kocht und werkt, und obenauf liegt ein Gitterwerk, durch das ich hindurchsehen kann. Jetzt richte ich meinen Blick auf den gelben Weg, der entlang des Strandes vom Dorf herführt, und auf dem sie kommen muß.

Und seit Stunden nicht kommt.

Ich weiß, wo sie ist.



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