Die Schule der Nacht by James Mia

Die Schule der Nacht by James Mia

Autor:James Mia
Die sprache: deu
Format: mobi, azw3, epub
Herausgeber: E Books der Verlagsgruppe Random House
veröffentlicht: 2012-08-02T22:00:00+00:00


Zwanzigstes Kapitel

Um den Styroporbecher hatte sich eine kleine Teepfütze gebildet. Wenn sie ihn hin- und herschob, zog er gewundene Schlieren hinter sich her. Und wenn sie ihn hochhob und wieder abstellte, stoben winzige Tröpfchen auf.

»April, nicht.«

Sie tauchte die Spitze ihres Zeigefingers in die kleine Lache und beobachtete, wie sich das Neonlicht in der milchigen Oberfläche spiegelte.

»Würdest du bitte damit aufhören, Schatz?«

April blickte auf und blinzelte, als würde sie den Raum zum ersten Mal wahrnehmen. Nicht dass besonders viel zu sehen war – in dem Vernehmungsraum der Polizei gab es nur nackte grüne Wände und einen Resopaltisch mit vier Stühlen, mehr nicht. Ihre Mutter saß neben ihr und rutschte unbehaglich auf ihrem Plastikstuhl herum. Sie war gereizter Stimmung, seit sie angekommen waren, was nun schon mehrere Stunden her war, und ihr Verhalten schwankte zwischen völliger Teilnahmslosigkeit und hektischer Nervosität.

»Als hätten wir nichts Besseres zu tun.« Verärgert stieß sie die Luft aus. »Ich muss heute noch einmal mit dem Gerichtsmediziner sprechen. Heute!«, sagte sie und schaute zum x-ten Mal innerhalb weniger Minuten auf ihre Armbanduhr. »Es ist Freitagnachmittag. Wenn wir jetzt keine Antworten bekommen, müssen wir schon wieder ein ganzes Wochenende warten.«

»Ich weiß, Mum, aber es nützt doch nichts, sich deswegen so aufzuregen.«

»Ich will mich aber aufregen, sonst tut es ja niemand«, entgegnete ihre Mutter. »Die Leute hier kommen einfach nicht in die Gänge – wenn wir alles den verdammten Behörden überlassen, brauchen sie noch Wochen für die Obduktion, und was wird dann aus uns?«

April sah ihre Mutter traurig an. »Für Dad spielt Zeit keine Rolle mehr.«

»Aber für uns! Wie sollen wir denn sonst weitermachen?« Silvia traten die Tränen in die Augen. »Wir können ihn noch nicht einmal beerdigen und uns von ihm verabschieden. Ich habe das Gefühl, völlig in der Luft zu hängen.«

April griff nach der Hand ihrer Mutter und drückte sie. Sie wusste genau, was sie durchmachte und dass die Beerdigung wichtig war, um ihre Trauer herauslassen und verarbeiten zu können. Die durch die Obduktion verursachte Verzögerung machte sie alle völlig krank, auch wenn sie für die Ermittlungen unerlässlich war. Ihre Mutter erstickte allmählich an dem Schmerz und Kummer, der sich in ihr aufgestaut hatte. Obwohl sie sich nach wie vor die meiste Zeit in ihrem Bett verkroch, wirkte sie abgespannt und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Nicht dass April selbst so viel besser ausgesehen hätte. Seit ihrer eigenmächtigen Erkundungstour über den Friedhof vor zwei Tagen wurde sie von Albträumen geplagt. Sie sah bleiche Gesichter hinter Fensterscheiben, schlafende Engel, die plötzlich erwachten, und – was aus irgendeinem Grund am verstörendsten war – eine schwarze Eisenflügeltür mit einem auf dem Kopf stehenden Schlüsselloch, die sie nicht öffnen konnte. Die schlaflosen Nächte hatten ihre Spuren hinterlassen, genau wie ihre Mutter sah sie blass und erschöpft aus, aber ihr Aussehen machte ihr im Moment die geringsten Sorgen, zumal sie außer ihrer Mutter und ihrem Großvater sowieso niemanden sah. Sie hatte sich noch nicht überwinden können, wieder in die Schule zu gehen, und war froh, dass es bis jetzt auch niemand von ihr zu erwarten schien.



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