Die Schicksalsleserin by Falkenhagen Lena

Die Schicksalsleserin by Falkenhagen Lena

Autor:Falkenhagen, Lena [Falkenhagen, Lena]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2010-11-25T23:00:00+00:00


»Was heißt das - soll ich Leben führen wie Einsiedler?«, fragte der Hispanier in entsetztem Ton. »Ich will wissen, ob ich soll werben um die Hand der schönen Elena, oder doch die reiche Margerita!«

Madelin hielt die Augen fest geschlossen und lächelte. »Die Karte des Einsiedlers bedeutet nicht, dass du dich den Frauen nicht mehr hingeben sollst, Carlos. Du sollst einfach weise wählen; nicht überstürzt handeln.«

»Jetzt bin ich schlau wie vorher«, schmollte der schöne Mann. »Soll ich weise meinem Herzen folgen oder weise den Wunsch meines Vaters achten?«

»In beidem liegt eine andere Weisheit«, erwiderte die Wahrsagerin. »Die Frage ist, ob du dein eigenes Schicksal oder das der Familie voranstellst.« Die Fragen der Menschen hatten sich meist um die Belagerung gedreht, die inzwischen seit sieben Tagen anhielt - Carlos’ Bitte war eine erfreuliche Abwechslung.

»Du sprichst unsere Sprache beinahe ohne Fehler«, stellte Madelin fest. Sie öffnete die Augen und blinzelte - nur um festzustellen, dass Carlos sie beobachtete. Der spanische Arkebusier, der zur Wache beim Turm im Elend hinter dem Salzburger Hof an der nördlichsten Stelle Wiens eingeteilt war, saß ihr gegenüber am Ecktisch im Gelben Adler und musterte sie eindringlich. Ob er schon die ganze Zeit so dagesessen hatte?

»Du sprichst auch gut«, erwiderte Carlos und ließ seinen Blick an ihrem Körper hinabgleiten. Madelin wurde heiß, während er nicht nur die Details ihrer Kleidung aufzunehmen schien, sondern auch den Leib würdigte, der darin eingehüllt war. »Für eine bruja von der Straße.«

Madelin legte den Kopf schief. »Was bedeutet das?«

Er neigte sich vor, sah ihr tief in die Augen und schnurrte mehr, als dass er sprach: »Hexe.«

Madelin erschrak. Seit heute früh auf dem Stephansdom hatte sie ein gutes Geschäft gemacht - insgesamt hatte sie sechs Männern die Karten gelegt und so gut es ging versucht, sie zu deuten. Die Menschen im belagerten Wien hatten Angst. Doch wenn das Gerücht die Runde machte, sie wäre eine Hexe, dann würde sie schneller in der Donau landen, als sie das Glaubensbekenntnis zitieren konnte.

»Ich bin keine Hexe«, erwiderte sie also nachdrücklich. »Sag so etwas nicht.«

»Was bist’ dann?«, fragte Carlos mit gerunzelter Stirn. Sein Blick ruhte jetzt kühl auf ihr. »Eine Lügnerin?«

»Nein«, widersprach Madelin. »Ich … ich versuche nur zu helfen.«

»Bei was - Leute um Geld erleichtern?«

Sie starrte ihn ärgerlich an. »Ihnen neue Wege aufzuzeigen.«

»Verstehe«, erwiderte Carlos. Er griff sich von den beiden Pfennigen, die auf dem Tisch lagen, einen und steckte ihn wieder ein. Madelin wollte protestieren, doch er hob die Hand. »Was - willst’ mich vor den Stadtrichter bringen?« Er grinste, dann ließ er einen verbogenen Schinderling auf die Holzplatte kullern. Das einfache Geldstück war kaum etwas wert, enthielt es doch deutlich weniger Silber als normale Pfennige. Dann stand er auf und ging, ohne sich zu verabschieden, in die Sonne des frühen Nachmittags hinaus.

Madelin ließ Carlos gehen. Sie musste vorsichtig sein. Wenn Menschen Angst hatten, suchten sie sich jemanden, an dem sie sich abreagieren konnten, und das waren meist Fremde. Das war in der letzten Woche der Türke mit dem Goldkaftan gewesen, in der nächsten konnten es schon die Fahrenden sein.



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