Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition) by Meyer Marissa
Autor:Meyer, Marissa [Meyer, Marissa]
Die sprache: deu
Format: epub, azw3, mobi
Herausgeber: Carlsen
veröffentlicht: 2014-01-23T17:00:00+00:00
Drittes Buch
»Großmutter, was hast du so große Zähne?«
24
»Du bist unsichtbar.« Cinder sprach die Worte langsam aus. Bittend, fast flehend. »Du bist unsichtbar, Albatros, du bist unsichtbar. Tarn dich … verschwinde einfach … es gibt dich gar nicht … niemand kann dich sehen …«
Sie saß im Dunklen auf ihrer Schlafkoje und stellte sich das Schiff um sie herum vor. Die Stahlwände, den rotierenden Motor, die Schrauben und Schweißnähte, den Hauptrechner, das bruchsichere Glas der Cockpitfenster, die geschlossene Rampe zum Frachtraum, das Deck mit den Beischiffen unter sich.
Dann stellte sie sich vor, dass es unsichtbar war.
Dass es von den Radarschirmen unentdeckt blieb.
Sich trotz der Wachsamkeit der Satellitenstationen in nichts auflöste.
Anmutig tänzelnd all den anderen Raumschiffen im dichten Verkehr des Sonnensystems auswich. Ohne Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, weil es gar nicht zu existieren schien.
Ihre Wirbel kribbelten, erst oben im Nacken, dann bis hinunter zum Steiß. Wärme floss ihr in jeden Muskel und jedes Gelenk bis in die Finger- und Zehenspitzen.
Sie atmete aus, lockerte die Muskeln und fiel erneut in ihren Sprechgesang. »Du bist unsichtbar, Albatros. Albatros, tarn dich. Verschwinde.«
»Und? Klappt es?«
Sie riss die Augen auf. In der Dunkelheit konnte sie nur die stecknadelkopfgroßen Sterne vor dem Fenster sehen. Sie befanden sich jetzt auf der von der Sonne abgewandten Seite der Erde. Das Schiff schwebte im Schatten und in der Unendlichkeit des Alls.
Verhüllt. Getarnt. Unsichtbar.
»Gute Frage«, antwortete sie und sah zur Decke hinauf. Das hatte sie sich angewöhnt, obwohl sie wusste, wie lächerlich es war. Iko war ja weder an der Decke noch in den Lautsprechern, aus denen ihre muntere Stimme erklang. Sie war jedes Kabel des Computers, jeder Chip, jede Installation. Mit Ausnahme des Stahls, der Bolzen und Schrauben, die das Schiff zusammenhielten.
Es war beunruhigend.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung von dem, was ich hier tue«, sagte Cinder. Sie warf einen Blick zum Fenster hinaus. Dort waren keine Schiffe zu sehen, nur Sterne, nichts als Sterne. In weiter Ferne ein vager violetter Nebel, vielleicht Gase vom Schweif eines Kometen. »Fühlst du dich denn anders?«
Unter ihren Füßen surrte etwas, das sie an das weiche Schnurren eines Kätzchens erinnerte und daran, wie Ikos Ventilator sich immer schneller drehte, wenn sie Informationen verarbeitete.
»Nein«, sagte Iko nach etwa einer Minute und das Surren erstarb. »Einfach nur gigantisch.«
Cinder streckte die Beine aus und ließ das Blut in ihren Fuß strömen. »Genau das macht mir ja Sorgen. Irgendwie kann es doch nicht so leicht sein. Der Asiatische Staatenbund ist hinter uns her und wir wissen nicht, ob sie nicht längst militärische Unterstützung der gesamten Union Erde angefordert haben, ganz zu schweigen von Luna und den Jägern vom Grenzschutz. Wie viele Schiffe siehst du auf deinem Radar?«
»Einundsiebzig.«
»Genau – und keins von denen hat uns bemerkt? Keinem sind wir aufgefallen? Kommt dir das wahrscheinlich vor?«
»Vielleicht klappt es ja doch. Vielleicht bist du ein Naturtalent.«
Cinder schüttelte den Kopf; sie hatte vergessen, dass Iko sie nicht sehen konnte. Sie wollte Iko glauben, aber es fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Lunarier konnten Bioelektrizität kontrollieren, aber keine Radarwellen. Sie hatte den Verdacht, dass ihr Singsang und ihre Manipulationsversuche einfach nur Zeitverschwendung waren.
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