Die Liebe – Ein psychoanalytischer Essay by René Allendy
Autor:René Allendy
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: psychology
ISBN: 3-463-00737-1
Herausgeber: Kindler Verlag GmbH
veröffentlicht: 1978-12-31T16:00:00+00:00
Der psychische Gesichtspunkt
Gefühl und Trieb widersprechen einander nicht; sie existieren nebeneinander in wechselvollen Proportionen und zielen darauf, sich wechselseitig zu unterhalten. Die Verliebtheit, die aus dem Unterbewußten stammt, entzieht sich zum großen Teil dem Willen. Sie entspringt im allgemeinen einem Gefühl, das aus der Kindheit stammt und auf ein neues Objekt übertragen wird, wobei der Anlaß unterbewußt wahrgenommene Ähnlichkeiten sind, welche dazu neigen, sich zu verdichten. Manchmal kann der Verliebte sein eigenes Bild auf das Geliebte projizieren, sei es das wirkliche Bild – dann handelt es sich um Narzißmus –, sei es das Bild seines Ideals – was die psychische Einheit seiner Persönlichkeit, seine Individuation, erweitert –: Der Vorgang zielt darauf, eine typische Situation neu zu schaffen, auf eine verfehlte Bewährung zurückzukommen. Jede Liebesbindung setzt besondere Sensibilisierungspunkte voraus und macht die Projektion nur eines Teils der latenten Wünsche möglich; sie behält daher ihr einmaliges Gesicht. Mehrere Bindungen können gleichzeitig bestehen, wenn jede einen von der anderen ausreichend unterschiedenen Charakter behält. Eine Liebe, die auf einer echten Ähnlichkeit gründet, ruft in der Regel Gegenliebe hervor. Liebe, die einer Besessenheit gleicht, ist beherrschend, erobernd und weckt immer etwas Furcht. Männliche Aktivität und weibliche Passivität gibt es normalerweise lediglich während der Begattung selbst, später kehren sie sich um: Die Natur läßt die Beherrschung des einen Geschlechts durch das andere im Bereich des Instinkts nicht zu. Liebe und Spannungen sind kein Gegensatz, aber Eifersucht ist immer pathologisch. Die Liebe berührt sich mit dem Nichtsein.
Man bemüht sich manchmal, in der Liebe den Trieb vom Gefühl zu unterscheiden, ja, diese beiden Elemente gegeneinanderzustellen, als wären sie tatsächlich etwas wesensmäßig Verschiedenes. Es wäre an sich wünschenswert, wenn dem so wäre, weil dann die menschlichen Reaktionen klarer wären. Jedoch, es ist stets Willkür, solche Abteilungen oder Ebenen im biologischen und psychologischen Bereich abzustecken, weil das Leben ein Ganzes ist und weil es unentwegt darauf gerichtet ist, aus den vielfältigen Elementen des Seins eine Synthese zu bilden.
Es ist lediglich feststellbar – sofern man sich an die Innenschau und die Psychologie des Bewußtseins hält –, daß es keinerlei endgültige Trennung von Gefühl und Trieb gibt. Es gibt brutale Triebwünsche, die nicht das geringste mit dem Bedürfnis nach Bindung und Opferbereitschaft zu tun haben scheinen, jenes Bedürfnis, das für das Gefühl der Liebe im eigentlichen Sinn charakteristisch ist; auf der anderen Seite gibt es Bindungen und Zärtlichkeiten, die den Anschein haben, völlig vom Trieb abgelöst zu sein. Beide Elemente scheinen unabhängig voneinander. Dies sind ihre Erscheinungsformen, statisch betrachtet. Betrachtet man jedoch die Entwicklung, so scheint es, als enthalte die gröbste nur körperliche Begierde einen Kern von Gefühl, und wer lange geglaubt hat, von seinem Sexualpartner nichts außer rein körperlicher Befriedigung zu erwarten, entdeckt eines Tages, daß er unfähig wäre, die gleiche Anziehung und die gleiche Befriedigung bei einem anderen zu empfinden, und daß er für jede Art Güte, Wohlwollen, manchmal auch zu jeder Schwäche bereit wäre, um ihn sich zu erhalten: Es wird da ein Gefühl deutlich, das zuvor nichts von sich wissen wollte. Auf der anderen Seite zeigt eine im
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