Die letzten Wächter by Lukianenko Sergej

Die letzten Wächter by Lukianenko Sergej

Autor:Lukianenko, Sergej [Lukianenko, Sergej]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-03-10T23:00:00+00:00


Vier

Um zehn Uhr morgens betrat ich Gesers Büro. Vor fünf Stunden waren wir in Moskau gelandet, danach hatte ich Jegor zu seiner Mutter gebracht. Anschließend war ich zu mir gefahren und hatte knapp drei Stunden geschlafen.

Etwas heldenhaft kam ich mir schon vor.

Was sich auch in meiner undurchdringlichen, konzentrierten Miene zeigte.

»Guten Morgen, Chef«, sagte ich. »Jegor ist in Moskau, ich habe ihn bei seiner Mutter abgeliefert. Falls nötig, ist er bereit, an unserer Operation teilzunehmen.«

»Bestens«, erwiderte Geser, der mich neugierig ansah. »Das freut mich wirklich.«

»Kann ich dann jetzt gehen?«, erkundigte ich mich.

»Mhm«, brummte Geser. »Sag mal, hast du keine Fragen, Vorwürfe oder Anklagen?«

»Nein«, antwortete ich. »Kann ich also gehen?«

»Setz dich«, verlangte Geser bloß.

Gehorsam nahm ich ihm gegenüber Platz.

»Anton, du hast jedes Recht, sauer auf mich zu sein«, fing Geser an. »Aber lass mich dir verschiedene Dinge erklären. Dass ich wusste, wie sich Jegor verhalten wird, hatte nichts mit Magie zu tun! Das war reine Psychologie! Dabei kommt es nur darauf an, die Motive zu verstehen, die Menschen wie Andere bewegen. Du allein konntest Jegor überzeugen, dich nach Moskau zu begleiten. Aber selbst dir konnte das nur gelingen, wenn du aufrichtig warst.«

»Das ist mir klar.«

»Deshalb …« Geser verstummte und runzelte die Stirn. »Soll das heißen, du verstehst das wirklich? Dass du mir deswegen keine Vorwürfe machst? Weil du einsiehst, dass wir Jegor brauchen?«

»Mich stinkt das alles an«, sagte ich. »Wir haben dem Jungen das Leben verpfuscht. Aber in diesem Fall steht zu viel auf dem Spiel. Da spielt weder sein noch mein noch Ihr Leben eine Rolle.«

Geser erwiderte nichts, sondern spielte nur gedankenversunken mit dem Kugelschreiber in seiner Hand herum. Aus irgendeinem Grund schaltete er den Laptop ein, der auf seinem Tisch stand, klappte ihn aber sofort zu.

»Kann ich nun gehen?«, wollte ich abermals wissen. »Oder wollen Sie mir noch etwas sagen?«

»Ja«, brachte Geser mürrisch hervor. »Ich werde in Zukunft die Karten auf den Tisch legen. Mir muss irgendwie entgangen sein, dass du inzwischen kein kleiner Junge mehr bist.«

»Danke.«

»Dann bin ich mir überhaupt nicht sicher, dass wir tatsächlich einen Spiegel brauchen. Nur dreißig Prozent der Analytiker sehen das so, zwanzig gehen immer noch von einem Tiermenschen aus, und fünfzig Prozent vermuten hinter dem ominösen Jemand, der das Antlitz wechselt, etwas, das wir noch nicht entschlüsselt haben.«

»Das wäre schön«, brachte ich aufrichtig heraus.

»Außerdem hat Olga Probleme mit unseren Blutsaugern«, schloss Geser. »Geh mal zu ihr, sie will mit dir darüber sprechen.«

Die SMS erreichte mich vor der Tür zu Olgas Zimmer. Ich holte mein Handy heraus. Eine unbekannte Nummer.

Die Babuschkas haben die ganze Nacht diskutiert. Ohne Ergebnis. Morgen Nacht reden wir weiter. Julija Chochlenko.

Durfte das denn wahr sein? Die Welt steuerte mit voller Kraft auf ihr Ende zu, und diese alten Hexen konnten keine neue Urbabuschka wählen? Oder zumindest eine Interims-Urbabuschka! Und das, obwohl die Chancen ja recht gut standen, dass niemand aus der Sechsten Wache die Begegnung mit dem Zweieinigen überlebte?

Was also dachten sich die Hexen dabei, ohne Ende darüber zu streiten, wer von ihnen älter, fieser und gemeiner war?!

Ich steckte das Handy in die Tasche und betrat Olgas Arbeitszimmer.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.