Die Lebenden und die Toten by Simonow Konstantin

Die Lebenden und die Toten by Simonow Konstantin

Autor:Simonow, Konstantin [Konstantin, Simonow]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Historie, WK 2, DDR, SU
Herausgeber: Verlag Volk und Welt
veröffentlicht: 1959-11-15T00:00:00+00:00


11

Die Nachrichtenschule, an der Mascha Artemjewa schon seit drei Monaten, seit Mitte Juli, ausgebildet wurde, war in den Landhäusern einer ehemaligen Waldschule am Kilometer dreißig der Alten Kalugaer Chaussee untergebracht.

Am Abend des 16. Oktober hatte man Mascha und ihrer Freundin Njussja Shurawskaja Nachturlaub nach Moskau gegeben, damit sie von zu Hause noch ein paar Kleidungsstücke holen konnten. Diese Kleider würden sie im Hinterland der Deutschen brauchen.

Es war kalt und windig. Die beiden Frauen überstanden die Fahrt im Laderaum eines Lkw, der nach Moskau fuhr, um Verpflegung zu holen. Sie lagen auf Stroh und hatten die dicke Plane über sich gezogen, mit der sonst die Lebensmittel zugedeckt wurden. Mascha spürte die Kälte nicht, und im Dunkeln unter der Plane schien ihr, als befände sie sich nicht auf einem Lkw unterwegs nach Moskau, sondern in einem Nachtflugzeug, in dessen Rumpf sie, genauso in der Dunkelheit liegend, die Front überqueren würde, um im Hinterland der Deutschen mit einem Fallschirm abzuspringen.

Der Ausbildungslehrgang war vor einer Woche zu Ende gegangen, und nun erwartete sie von einer Nacht zur anderen die letzte Unterweisung und den Abtransport.

Sie wußte schon, daß sie mit ihrem Funkgerät an einem von drei in Frage kommenden Punkten in der Nähe von Smolensk abgesetzt würde und daß sie dann in die Stadt gehen müsse, um ihre Arbeit als Verbindungsmann aufzunehmen. Auf Grund der Angaben, die für sie als Ergänzung zu ihrem Paß mit falschem Namen zusammengestellt worden waren, hatte sie in Smolensk bei ihrer Mutter die Kindheit verbracht und war nicht mehr rechtzeitig aus Witebsk weggekommen, hatte die Mutter bei einem Bombenangriff verloren und war mehrere Monate auf der Suche nach einem Unterkommen umhergewandert. Nun hatte sie sich entschlossen, nach Smolensk zu ihrer dort wohnenden Tante zu gehen. Die Anschrift dieser Tante – eines wirklich lebenden Menschen mit echten Vor- und Zunamen und nicht mit gefälschten wie bei Mascha – war jener Treff, den sie im letzten Augenblick vor dem Start auswendig lernen mußte.

Mascha lag im Laderaum des Lkw, ihre Brust an Njussjas warmen Rücken gepreßt, und flüsterte kaum hörbar immer wieder vor sich hin: „Veronika, Veronika …“

Veronika war der Rufname jenes Mädchens, für das sie sich auszugeben hatte, und dieser Name wollte ihr nicht gefallen. Ihr war, als würde sie auf ihn nie so ohne weiteres, ganz ohne jedes Erstaunen, reagieren können.

„Veronika, Veronika …“, formten die Lippen unhörbar.

Seit dem Augenblick, da der Kompaniechef heute nach dem Abendappell kommandiert hatte: „Alle wegtreten! Artemjewa und Shurawskaja zu mir!“, fühlte Mascha, wie die Zukunft nähergerückt und zur Gegenwart geworden war.

Sie irrte sich nicht. Der Kompaniechef gab ihnen bis zum nächsten Morgen Urlaub, damit sie in ihren Wohnungen in Moskau, wie er sagte, „Zivil“kleidung holen konnten. Das bedeutete, daß nicht nur Mascha, sondern auch Njussja als Verbindungsmann eingesetzt werden sollte, denn die Funkerinnen, die bei den Partisanenabteilungen eingesetzt wurden, schickte man in Uniform und kurzen Pelzen hinaus.

Sie sollte man nicht hinausschicken, dachte Mascha von ihrer Freundin. Sie hatte das schon mehrmals gedacht. Ihr schien, als eigne sich Njussja, die zu weich erzogen und außerdem zu unerfahren war, vom Leben noch nichts gesehen hatte, nicht für eine solche Arbeit.



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