Die Frauen der Rosenvilla by Teresa Simon

Autor:Teresa Simon [Simon, Teresa]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-03-09T23:00:00+00:00

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Dresden, April 2013

Er saß bereits im Villandry, als Anna in der Jordanstraße ankam, leicht erhitzt, weil sie nach der Klinik noch in der Schokolust vorbeigeradelt war, um dort ein paar dringende Bestellungen fertig zu machen. Die gedämpfte Beleuchtung und das schmeichelnde Kerzenlicht ließen sein schmales Gesicht mit der Raubvogelnase zunächst weicher erscheinen, doch als er den Kopf zur Seite wandte, um nach seiner Brille in der Jackentasche zu angeln, sah Anna die Tränensäcke unter den Augen und die Längsfalten, die seine Wangen einkerbten und den starken Raucher verrieten.

Wie alt mochte er sein? In etwa der Jahrgang ihres Vaters?

Sie verschob die Frage auf später und widmete sich zunächst der Speisekarte, die Winkler bereits eingehend studierte. Bei der lächelnden jungen Bedienung bestellte sie nach kurzer Rücksprache mit ihm Mineralwasser sowie eine Flasche Chenin Blanc & Viognier, den der Journalist nach ihrer Aufforderung genießerisch kostete.

»Lässt sich trinken«, sagte er, um gleich hinterher hausgemachte Wildpaté, Steak vom Duroc-Schwein mit Polenta und warmen Schokoladekuchen zu ordern. Anna entschied sich für mariniertes Gemüse und Doradenfilet. Ob sie Lust auf Dessert haben würde, ließ sie zunächst offen.

Sie spürte, wie er sie fixierte.

»Als Erstes wollte ich mich bei Ihnen bedanken«, sagte sie, um die Unterhaltung in Gang zu bringen. »Ihr Artikel hat eine ganze Reihe von Kunden zu uns geführt. Jetzt tut es mir noch mehr leid, dass ich am Eröffnungstag nur so wenig Zeit für Sie hatte. Aber vielleicht lässt sich das nachholen, und Sie haben Lust, noch einmal bei uns vorbeizukommen? Ich würde mich sehr freuen!«

Er nahm einen großen Schluck Wein. »Es geht um Ihren Großvater, nicht wahr?«, fragte er dann. »Um Kurt Kepler. Deshalb sitzen wir beide doch hier – und nicht, um einen romantischen Abend miteinander zu erleben.«

Er schien Offenheit zu lieben. Das kam ihr entgegen.

»Ja«, sagte Anna. »Das wäre dann sozusagen mein zweites Anliegen. Ich bin gerade dabei, tiefer in unsere Familiengeschichte einzutauchen. Da haben Ihre Zeilen mich neugierig gemacht.«

Winkler nickte, als habe er nichts anderes erwartet.

»Sie haben meinen Großvater gekannt?«, fragte Anna.

»Das könnte man so sagen!«, polterte er los. »Einer der schlimmsten Menschenschinder. Und gleichzeitig der größte Visionär in Sachen Schokolade, der mir jemals begegnet ist!« Er leerte sein Glas in einem Zug.

Anna goss nach. »Das müssen Sie mir näher erklären«, bat sie.

»1956 habe ich als Youngster seiner Brigade im Elbflorenz angefangen«, sagte er. »So hieß die Nobel-Schokofabrik der DDR. Gerade mal vierzehn war ich damals und er mein strenger Vorarbeiter, der mir nicht den kleinsten Fehler durchgehen ließ. Später habe ich dann herausbekommen, dass ein Entnazifizierungsverfahren gegen ihn gelaufen ist – und mehr als das. Aber die junge sozialistische Republik wollte nach den harten Kriegsjahren endlich wieder Süßes. Und kaum einer kannte sich damit so gut aus wie Kurt Kepler.«

Inzwischen war der Brotkorb leer. Anna bestellte unauffällig Nachschub. Hoffentlich ließ die Vorspeise noch ein wenig auf sich warten. Es versprach gerade mehr als spannend zu werden.

»Vor dem Krieg hat mein Großvater eine große Schokoladenfabrik geleitet«, sagte sie. »Sehr erfolgreich, soweit ich weiß. Im Krieg wurde die Fabrik dann ein Opfer der Bombenangriffe.

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