Die Errettung des Schönen by Byung-Chul Han
Autor:Byung-Chul Han [Han, Byung-Chul]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104035260
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-07-29T16:00:00+00:00
Das Ideal des Schönen
Kants Ästhetik des Schönen ist zwar von der autoerotischen Subjektivität bestimmt, aber sie ist noch keine Konsumästhetik. Kants Subjekt ist eher asketisch als kulinarisch. Das Wohlgefallen gegenüber dem Schönen ist interesselos. Eine ästhetische Distanz macht ein kontemplatives Verweilen am Schönen möglich. Die ästhetische Anschauung ist nicht konsumtiv, sondern kontemplativ. Kant isoliert das Schöne zwar in seiner Positivität, aber es ist noch kein Gegenstand des kulinarischen Genusses. Vom Schönen geht kein Reiz aus. Es ist vielmehr eine ästhetische Form. Im heutigen ästhetischen Regime wird dagegen sehr viel Reiz produziert. Gerade in dieser Flut von Reiz und Erregung verschwindet das Schöne. Sie lässt keine kontemplative Distanz zum Objekt zu und liefert es der Konsumtion aus.
Bei Kant geht das Schöne außerdem über das rein Ästhetische hinaus. Es reicht ins Sittliche hinein. In seinem Gedicht Hymne an die Schönheit beruft sich Hölderlin auf Kant: »Die Natur in ihren schönen Formen spricht figürlich zu uns, und die Auslegungsgabe ihrer Chiffernschrift ist uns im moralischen Gefühl verliehen.« Der moralische Mehrwert des Schönen macht auch das »Ideal des Schönen« aus, das Kant von der »Normalidee des Schönen« unterscheidet. Die Normalidee des Schönen ist eine Gattungsnorm.[94] Eine Gestalt wirkt schön, wenn sie ihr entspricht, hässlich dagegen, wenn sie von ihr ganz abweicht. Nicht nur der Mensch, sondern jede Spezies hat ihre Normalidee des Schönen. Sie ist die »Richtigkeit in Darstellung der Gattung«, ein »Urbild«, nach dem eine Gattung sich reproduziert. Das Gesicht, das der Normalidee des Schönen entspricht, ist ein vollkommen regelmäßiges, glattes Gesicht, das »nichts Charakteristisches« enthält. Sie stellt »mehr die Idee der Gattung als das Spezifische einer Person« dar.[95] Im Gegensatz zur Normalidee des Schönen ist das »Ideal des Schönen« allein dem Menschen vorbehalten. Es ist der »sichtbare Ausdruck sittlicher Ideen, die den Menschen innerlich beherrschen«.[96]
Aufgrund seines Vernunftgehaltes entzieht sich das Ideal des Schönen jeder Konsumtion. Es erlaubt »keinem Sinnenreiz, sich in das Wohlgefallen an seinem Objekt zu mischen« und lässt »dennoch ein großes Interesse daran nehmen«. Das Urteil hinsichtlich des Ideals des Schönen geht über das rein Ästhetische, über den bloßen Geschmack hinaus. Es ist ein »intellektuiertes Geschmacksurteil«, das auf der »Vereinbarung des Geschmacks mit der Vernunft, d.i. des Schönen mit dem Guten«[97] beruht. Zur Darstellung und Beurteilung dieser Schönheit ist nicht jeder fähig. Notwendig dafür ist die Macht der Einbildungskraft, die die sittlichen Ideen, die einem durch eine höhere Bildung zuteilwerden, zu visualisieren vermag. Mit dem Ideal des Schönen konzipiert Kant eine moralische Schönheit oder eine Moral des Schönen.
Historisch war die Schönheit lange nur in dem Maße relevant, in dem sie Moral und Charakter zum Ausdruck brachte. Heute weicht die Charakterschönheit ganz der Sexyness: »Im 19. Jahrhundert galten Frauen aus der Mittelklasse als attraktiv aufgrund ihrer Schönheit und nicht aufgrund ihres Sex-Appeals. Schönheit verstand man als eine körperliche und geistige Eigenschaft. […] Die sexuelle Attraktivität als solche stellt ein neues Bewertungskriterium dar, das gleichermaßen von der Schönheit wie vom moralischen Charakter abgelöst ist, oder vielmehr, bei dem Charakter und psychologische Beschaffenheit letzten Endes der Sexyness untergeordnet werden.«[98]
Die Sexualisierung des Körpers folgt
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