Die Erben der Erde by Ildefonso Falcones
Autor:Ildefonso Falcones [Ildefonso Falcones]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Ildefonso Falcones
Herausgeber: C. Bertelsmann Verlag
veröffentlicht: 2018-06-10T22:00:00+00:00
20
Am 29. November 1412, fünf Monate nachdem ihn das Schiedsgericht von Caspe zum König ernannt und er vor den Cortes von Aragonien seinen Eid abgelegt hatte, zog Fernando I. mit allem Pomp in Barcelona ein. Dem Brauch gemäß blieb er für einige Tage zu Gast im Kloster Valldonzella, damit die Stadt die Vorbereitungen für seinen Empfang zu Ende bringen konnte. Auf dem Platz vor dem Kloster Framenors, gleich neben dem Meer und der Werft, wurde ein prachtvolles, satinüberzogenes Podest mit Baldachin und Vorhängen aufgestellt. Von dort sollte der neue König den Spielen und Feierlichkeiten zu seinen Ehren beiwohnen. Mit seinem Gefolge würde er vorbei an geschmückten Häusern ziehen, durch Straßen, die mit Schilf und Rohrkolben ausgelegt waren. Doch bevor er seine Tribüne erreichte, sollten ihm auf einer weiteren vor dem Hospital de la Santa Cruz die dort internierten Geisteskranken in ihrer mehr oder weniger gelungenen Soldatenverkleidung ein Spektakel liefern.
Während Hugo in der Menge mit Barcha und Caterina auf den Vorbeizug des Königs wartete, betrachtete er die zwei Dutzend unheilbar kranken Frauen und Männer. Sie hatten sich mit Schwertern und Lanzen bewaffnet, manche authentisch, andere einfache Imitationen aus Holz oder Schilfrohr, und drohten damit den Leuten auf der Straße. Gleichzeitig mühte sich das Personal des Hospitals, dass sie weder von der Tribüne herunterstiegen, um die angedeuteten Kämpfe real auszuführen, noch ihre alten, rostigen Helme ins Publikum warfen. Dieses wiederum vertrieb sich die Wartezeit damit, das drollige Heer mit Zurufen zu necken und anzufeuern.
Der Radau war so groß, dass sich die Menschen, die sich entlang der Straße aufgestellt hatten, vor der Tribüne der Geisteskranken zusammendrängten. Von diesen reagierten manche mit Gewalt auf die zugerufenen Scherze und Beleidigungen, andere versteckten sich, setzten sich hin oder kauerten sich auf den Boden, viele hielten sich die Ohren zu. Unterdessen wiegte sich ein Paar zum Rhythmus einer tonlosen, fantasierten Melodie, und eine weitere Gruppe spazierte über die Tribüne, wobei sich manche ernst und würdevoll gaben, die meisten aber die Menge auslachten. Hugo hatte seinerzeit als Kellermeister des Hospitals de la Santa Cruz mit Geisteskranken zu tun gehabt, nachdem man sie aus den zu schließenden anderen Anstalten dorthin verlegt hatte. Vielleicht konnte er sogar einen von ihnen wiedererkennen. Sie waren wehrlose, aber keine schlechten Menschen. So dachte er, als Trompeten und Trommeln den Einzug des Königs durch das Portal Sant Antoni verkündeten. Während die Leute um ihre Plätze am Straßenrand rangelten und das Personal des Hospitals die Geisteskranken einsammelte, vom Boden aufrichtete und ihrem Geschrei Einhalt gebot, um alle ordentlich aufzustellen, ritt Fernando I. herrlich und prächtig auf seinem Pferd heran. In der Sonne glitzerte sein Panzerhemd; seinen Umhang und das Wams, jeweils aus Goldstoff und hermelingefüttert, hatte er sich eigens für seinen Einzug in der Grafenstadt anfertigen lassen.
Der König lächelte und winkte dem Heer der Geisteskranken zu, das ihm von der Tribüne aus die Ehre erwies. Keiner von ihnen schenkte den Erklärungen, die man ihnen gab, auch nur die geringste Aufmerksamkeit, und trotzdem schienen sie zu verstehen, dass der vor ihnen Vorüberziehende eine um vieles höhere Autorität genoss als alle Übrigen.
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