Deutsch â Eine Liebeserklärung: Die zehn groÃen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache by Roland Kaehlbrandt
Autor:Roland Kaehlbrandt [Kaehlbrandt, Roland]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Language Arts & Disciplines, General, Humor
ISBN: 9783492602112
Google: IO1nEAAAQBAJ
Amazon: B09X62T2HY
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2022-09-28T22:00:00+00:00
Humanistischer Zitatenschatz
Zu einem gehobenen Sprachniveau können wir auch den Zitatenschatz des europäischen Humanismus rechnen, wie er im klassischen deutschen Bildungswortschatz noch auffindbar ist. Der Sprachwissenschaftler Gerhard Augst hat Auszüge aus dem klassischen Bildungswortschatz zusammengestellt, wie er noch aus der Bildungstradition des humanistischen Gymnasiums überliefert wurde, aber bereits verblasst.[48]
Schade eigentlich! Und deshalb sei er hier gewürdigt.
»Es gibt Wörter, deren Bedeutungen wie Sedimente kulturgeschichtliche Entwicklungsphasen angeben«, schreibt der Latinist Manfred Fuhrmann über den »europäischen Bildungskanon«.[49] In dem genannten klassischen Bildungswortschatz von Gerhard Augst finden sich denn auch Ausdrücke aus der Ãberlieferung der griechischen Antike, so das Damoklesschwert, die Sisyphusarbeit oder die Tantalusqualen. Ist es verwerflich, Versatzstücke der Antike zu pflegen und damit einen Anflug von historischer Kontinuität zu wahren? Es finden sich bei Augst auch biblische Zitate, die in ihrer sprachlichen Verdichtung selbst kleine Kunstwerke sind, wie der Tanz ums goldene Kalb, David gegen Goliath oder das Land, wo Milch und Honig flieÃen. Auch Ausdrücke aus der europäischen Geschichte fehlen nicht wie der Gang nach Canossa, das Ei des Kolumbus oder der Rütlischwur. Ist es nicht erstrebenswert, das eine oder andere aus diesem über Jahrhunderte gesammelten und so vielfältig einsetzbaren bildungsbürgerlichen Zitatenschatz zu bewahren? Ist es von Nachteil, Schillers »Wilhelm Tell« zu kennen? Hat uns dieser konservative Rebell nicht auch heute etwas zu sagen? Sollten wir die Metapher des Gesslerhuts vielleicht auch heute noch kennen? »Matthäus 23!«, möchte man ausrufen: das eine tun, das andere nicht lassen. Die pragmatische Wende der 1970er-Jahre hin zu den Gebrauchstexten als Schullektüre kann doch durchaus gemeinsam mit den raffinierten Verfeinerungen der literarischen Klassiker zu ihrem bildungspolitischen Recht kommen!
Jedenfalls steht der klassische Bildungswortschatz und stehen Formen der klassisch-humanistischen Stilschicht immer noch zum anspielungsreichen Gebrauch zur Verfügung. Und wenn sie als Essenz im Unterricht vermittelt werden, müssen sie gar nichts AusschlieÃendes an sich haben. Dass es sich dabei im Ãbrigen durchaus nicht um eine rein deutsche, sondern um eine europäische Angelegenheit handelt, macht die Akzeptanz dieses Zitatenschatzes vielleicht leichter. Die alten Sprachen waren ja Teil der Bildungsbewegung der Renaissance, genauer des Renaissance-Humanismus. Sie sollten den Eintritt in die Geisteswelt der Antike ermöglichen. In jene antike Welt, die man sich als eine Verbindung von Wissen und Tugend vorstellte, in eine Welt der Bildung und der Persönlichkeitsbildung des schöpferischen Individuums: humanitas, also Menschlichkeit, auch Menschenfreundlichkeit, als humane Grundhaltung und als ausgeprägt sprachliche Bildung.
Manfred Fuhrmann hat immer wieder für die Bewahrung der europäischen Sprachtradition plädiert. Progressive Bildungskritiker, die heute einer ökonomischen Zurichtung der Bildung misstrauisch gegenüberstehen, müssten eigentlich der humanistischen Bildungstradition, die sich im 19. Jahrhundert von utilitaristischen Bildungskonzepten scharf abgrenzte, durchaus Sympathie entgegenbringen â¦
Die Sprachorientierung des Humanismus ist ein Bildungserbe. Dessen Verbindung mit dem Emanzipationsversprechen der Aufklärung verweist auf das Bildungsziel, durch anspruchsvolle sprachliche Bildung die Menschen zu schöpferischen Persönlichkeiten heranzubilden, die über den Reichtum ihrer Sprache souverän verfügen können.
Deshalb sollte das gehobene Sprachniveau des Deutschen möglichst in der Breite vermittelt werden. Wie gern im Ãbrigen Schulkinder gerade mit literarischen Texten arbeiten und selbst künstlerische Techniken eigenständig ausprobieren, ist aus der Schuldidaktik hinreichend bekannt.
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