Der verlorene Schatten by Reinhold Di Cesare

Der verlorene Schatten by Reinhold Di Cesare

Autor:Reinhold Di Cesare [Cesare, Reinhold Di]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-95452-076-3
Herausgeber: Spielberg Verlag
veröffentlicht: 2016-04-25T23:00:00+00:00


›Eine unerwartete Wendung‹

Hier auf Erden lebt doch kein Mensch, der gut ist«, hob Giaccomo Trentini mahnend seinen Zeigefinger, während er auf der Piazza Lazzeri in Höhe der Gedenktafel unermüdlich auf- und abwanderte. »Jeder Mensch trägt Schuld in seinem Herzen. Abscheuliche Sünden, für die er sich schämt, die er geheim hält. Er will, dass es niemand weiß. Doch Gott kennt deine Schuld. Komm zu Jesus Christus und bekenne deine Schuld!« Man konnte niemals erkennen, dass er sich eine ganz bestimmte Person ausgesucht hatte, an die er seine Worte richtete. Sein Blick schien fortwährend ins Leere zu gehen, als würde er durch die entlangflanierenden Menschen geradewegs hindurchblicken.

Seine schwarze, lederne Hängetasche baumelte locker um seine Hüfte. Obwohl es an diesem Sonntagnachmittag brüllend heiß war, hatte er sein schwarzes Sakko nicht abgelegt. Die Luft flimmerte und schien zu glühen. Die sommerlich, luftig gekleideten Passanten und vor allem die Touristen, deren Kleidung oftmals an übergeworfene Strandkleidung erinnerte, blickten ihn nur kopfschüttelnd an, wenn ihnen seine Erscheinung – sie hatte große Ähnlichkeit mit einem Geistlichen – vor die Füße lief. Wie gewöhnlich an Sonntagen fielen auch heute wieder die Besucher in Scharen mit Bussen in den malerischen Ort ein.

Eine kleine Gruppe von Frauen hatte sich um den weiß lackierten VW-Bus geschart, der nur unweit der Mahntafel abgestellt worden war. Mit neugierigen Blicken starrten sie auf die kleinen Holztafeln – sie maßen 20 * 30 Zentimeter – die unterhalb des roten, fast 50 Zentimeter breiten Bandes auf die Karosserie befestigt waren, welche das Wagendach zierten.

»Jesus Christus sprach: Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden«, rezitierte eine Frau gehobenen Alters, die inmitten der kleinen Traube stand, den mit schwarzer Farbe handgeschriebenen Text.

Als Giaccomo sich einem Taubenschwarm näherte, der nach verlorenen Leckereien der Menschen auf dem Platz umhertrappelte, schreckte einer der Vögel auf und riss die anderen mit aus ihrem Traum. Gleich einer stetig durcheinanderwirbelnden Wolke kreiste der aufgescheuchte Haufen für einige Augenblicke über den Platz, um dann erneut ihre emsige Suche nach Nahrung fortzusetzen.

»Du Freikirchler, der du den Leib Christi zerspaltest, meinst du, du wirst dem Zorn Gottes entgehen? Es steht geschrieben, wer spaltet, wird das Reich Gottes nicht erben. Und wenn du anderer Meinung bist, das interessiert Gott überhaupt nicht.« Giaccomo Trentini näherte sich nun der Handvoll Touristen, sodass sie seine Worte mehr als deutlich vernehmen konnten. Die Frau mit dem faltigen, sonnengebräunten Gesicht blickte von der Tafel auf, deren Text sie soeben ihren Mitreisenden mit klarer Stimme vorgetragen hatte und drehte dem Prediger ihren Kopf zu. Dass sie Giaccomo mit einem abschätzigen Blick bedachte, schien ihn nicht im Geringsten zu berühren. Unbeirrt fuhr er in seinem monotonen Ton fort. »Sein Wort ist klar und deutlich. Du kannst natürlich anderer Meinung sein, aber dann sagst du damit, dass Gott ein Lügner ist. Doch Gott lügt nie!«

»Was ist denn das für einer?«, blickte sie fragend in die Runde, während sie mit einem weißen Taschentuch ihre mit Schweißperlen überzogene Stirn abwischte.

Er hatte nun die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Gruppenmitglieder auf sich gezogen.



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