Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn by Kubiczek André

Autor:Kubiczek, André [Kubiczek, André]
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-02-22T23:00:00+00:00

6

Interessieren Sie sich für Musik?, fragte sie den Deutschen, als sie sich das nächste Mal trafen, in der ersten Maihälfte des Jahres ’64, ungefähr drei Wochen nach der Feier, auf der sie sich kennengelernt hatten. In den Parks und auf den Promenaden blühten die Bäume und Sträucher und tauchten die gesamte Stadt in einen süßlichen Duft. Die Moskauer, vor allem die jungen, schienen jetzt endgültig wie erwacht aus einem monatelangen Winterschlaf. Sie wirkten heiter, sie flirteten, sie genossen das schöne Frühlingswetter.

Es war Sonntag, und sie liefen, beide ein Eis in der Hand, durch den Park Kultury.

Der junge Mann hatte Chanh, seine Kommilitonin aus dem Englischkurs, gebeten, für ihn ein Treffen mit ihrer Schwester Tèo zu arrangieren, nachdem der Zufall ein solches nicht hatte herbeiführen wollen. Nicht an den Mittagstischen der Stolowaja, nicht an der Kaffeebar oder auf den Institutsfluren, nicht in der Metro, obwohl sie zweimal am Tag dieselbe Strecke fuhren. Nicht einmal, als er dem Zufall nachzuhelfen versuchte und erst eine Bahn wegfahren ließ, dann noch eine und sogar eine dritte, oder als er seinen Abendspaziergang, den er plötzlich zur besseren Verdauung lief, mehrere Male an der Eingangstür ihres Wohnheimes vorbeiverlegte.

Die sonst lustige, oft übermütige Chanh hatte ihn misstrauisch angesehen, das erste Mal überhaupt, seit sie einander kannten. Sie war so ernst gewesen, wie er sie sonst nur in jener Zeit kurz nach der Ermordung ihres Vaters erlebt hatte. Und sie hatte seine Bitte tatsächlich abgelehnt, etwas von zusätzlichen Lektionen gemurmelt, die ihre Schwester zu absolvieren habe, und sich dann brüsk abgewandt.

Am nächsten Nachmittag war er mit Rainer in ihrem Wohnheimzimmer aufgekreuzt und hatte seine Bitte wiederholt, die sie zunächst wieder abschlug, dann aber, als sein Begleiter sie wiederholte, lenkte Chanh ein und sagte Ja.

Schon wollte das Herz des jungen Mannes einen Sprung machen, als sie schnell nachschob: Unter einer Bedingung!

Ja?

Dass ich euch begleiten darf.

Das war nun nicht gerade, was er sich erhofft hatte, aber weil es besser war als gar nichts, sagte er zu, kehrte aber am folgenden Nachmittag in Walters Begleitung zurück. Er wusste, dass Chanh Walters sonnigem Charme nicht widerstehen konnte. Schon seine Beleibtheit drückte nichts anderes als Gutmütigkeit aus, dennoch hatte er den Freund vorsichtshalber mit zwei Billetts für den berühmten Moskauer Staatszirkus versorgt. Und tatsächlich gelang es Walter binnen einer Viertelstunde, nicht nur Chanh zu einer sonntäglichen Zirkusvorstellung einzuladen, sondern ihr außerdem noch die Bedenken zu nehmen, dass ein Rendezvous ihrer Schwester mit seinem allerbesten Kumpel auch nur irgendwie unter einem schlechten Stern stehen könne. Er hatte zu seinen letzten Worten theatralisch an seiner Brille gerückt, eine übertriebene Miene der Sorge aufgesetzt und damit Chanhs rapide schwindenden Widerstand schließlich ganz gebrochen.

Sie liefen noch ein paar Schritte durch den Kulturpark, während der junge Mann hektisch nach einer Antwort suchte, die ihn nicht dumm aussehen ließ. Aber ihm wollte partout nichts einfallen, weshalb er nun, um etwas Zeit zu gewinnen, so tat, als habe er die Frage nicht verstanden: Entschuldigen Sie?

Ob Sie Musik mögen? Sie lachte. Denn sie merkte sehr wohl, dass er ihre Frage schon

Download

Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.