Das Pfarrhaus: Wen Gott liebt, dem gibt er ein Amt (German Edition) by Hans-Helmut Decker-Voigt

Autor:Hans-Helmut Decker-Voigt [Decker-Voigt, Hans-Helmut]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Shaker Media GmbH
veröffentlicht: 2014-09-30T22:00:00+00:00

Des Beters Kraft sie kommt, sie geht,

sie kommt, sie …

Die Hände, die zum Beten ruh᾽n,

die macht Gott nicht immer stark zur Tat.

Manchmal, wenn ich aufzuzählen beginne,

um was und für wen ich bete,

dann wird mir die Aussichtslosigkeit

erst bewusst …

Thea Zietz, Pastorentochter

Man saß jetzt fest da oben auf dem Berg, man war festgesetzt, und Georg Wilhelm und Dorotheas Speisezettel näherte sich wieder der Speisefolge auf ihrer Hochzeit im ersten eigenen Pfarrhaus von Walter in Bispingen an: Rübensuppen, Rübenschnitzel, Rübensaft, Rübenmarmelade, Rübenpralinen. Rübenzucker sowieso.

Aber anders als zu ihrer Hochzeit kochten Dorothea und das Mädchen die Rüben selbst aus. Drei Bollerwagen Zuckerrüben hatte das Pfarrhaus im letzten Monat dieses Kriegsjahres geliefert bekommen – und auf Anweisung des Rittmeisters in Holdenstedt Rezepte aus der Küche des Holdenstedter Herrenhauses. Rezepte für Rübensirupsorten, für Rübenkuchen, für Rübenbrot.

Dorothea lernte hier oben auf dem Berg im Kreis der Kirchenvorstandsfrauen, die sich über die Abwesenheit ihrer Männer im Zusammenschluss trösteten, weitere überraschende Neuigkeiten für die Kriegszeitenküche: Rote Rüben ließen sich schnitzeln und die Schnitzel rösten, dann mahlen und zuckern. Mit Rübenzucker zuckern. Das Mehl mit Wasser übergossen ergab diese Brühe, bei der das Hausmädchen begeistert „Kakao!“ rief und den Unterschied nicht merkte oder nicht merken ließ, weil sie die Freude von Dorothea nicht trüben wollten.

Der Unterschied zwischen dem Kakao in Friedenszeiten und der spezialbehandelten Rübenbrühe, die „wie Kakao“ schmeckte, war ähnlich groß wie der Unterschied zwischen echter Freude am Kakao und der gespielten Freude am Kakao, der an solchen erinnerte.

Georg Wilhelm machte auch aus dieser Mücke im Küchenplan der jetzigen Mangelzeiten einen Elefanten:

„Jener Kakao im Frieden und dieser Kakao zeigt auch den Unterschied zwischen Schein und Sein, also den Abstand zwischen Scheinwahrheit und Wahrheit – und wir tun so als ob. Dabei schmeckt es mehr als schlimm. Das ist Schwindeln aus Liebe, meine Liebe.“

Wenn dann Dorothea Tränen der Enttäuschung zeigte, dann stürzte er vor ihr auf die Knie und versicherte ihr seine Reue – und Bewunderung. „Nein, du hast so Recht. Täuschen wir uns ruhig weiter, weil solche Täuschung aus Liebe geschieht.“

Trotzdem – der schale Geschmack nach dem Als-ob-Kakao hielt sich in der Seele länger als auf der Zunge.

Problemloser waren dann die Salatkreationen aus Löwenzahnblättern und Brennnesseln. Oder die Hagebutten, die von den Rosen auf den Heckenumrandungen des Friedhofs offenbar nur zum Zweck von Gottes Schöpfung geboren wurden, um Marmelade zu werden. Kriegsmarmelade.

Die Kirchenvorstandsfrauen nannten sich ab dem dritten Kriegsjahr Kirchenvorsteherinnen, weil sie nun die Angelegenheiten ihrer abwesenden Männer übernehmen mussten: die Gräberverteilung, der Friedhof wurde schließlich eng und enger. Die Wartung der Kirchturmuhr musste entschieden werden. Eine besondere Uhr, weil sie gegen die Zeiten protestierte, indem sie pünktlich von der Mobilmachung an läutete, wann sie wollte, aber nicht zu den Zeiten, die Menschen zu pünktlichen Menschen machte. Es mussten Exhumierungen auf dem Friedhof kontrolliert werden. Vor Sonnenaufgang!

Solche und andere Regelungen kamen vom Konsistorium in Hannover, dessen Obere sicher noch nie vor Sonnenaufgang eine Exhumierung begleitet hatten.

All diese Arbeit ihrer Männer in Friedenszeiten machten sie nun mit, die selbsternannten Kirchenvorsteherinnen, die sich reihum jede Woche trafen, um auch neue Kriegsküchenrezepte auszuprobieren.

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