Das Mädchen, das nicht weinen durfte by Sufi Khadra

Das Mädchen, das nicht weinen durfte by Sufi Khadra

Autor:Sufi, Khadra
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: PeP eBook
veröffentlicht: 2010-09-02T00:00:00+00:00


Warten im »Dazwischen«

Unser Flug sollte via Kenia nach Ägypten gehen. Als wir in Nairobi zum Zwischenstopp landeten, verabschiedete sich unser Retter Francesco ins Hotel, während wir den Flughafen nicht verlassen durften und auf den Weiterflug warten mussten. Ich weiß nicht, wohin die alte, schwer verletzte Frau gebracht wurde, nur, dass zwei Männer sie auf einer Trage wegtrugen und dass sie keinen Ton mehr von sich gab und sich auch nicht mehr bewegte.

Schon im Flughafengebäude wurde ersichtlich, dass es den Menschen im Nachbarland Kenia besser gehen musste als denen in Somalia. Der Airport war groß, hell erleuchtet, klimatisiert und voller Duty-free-Shops. Als ich umherschlenderte, sah ich erstmals seit Jahren wieder so viele schöne Sachen, wie ich sie zuletzt in Berlin gesehen hatte. Vor einem Shop stand eine Sicherheitsfrau in beigefarbener Uniform. Ihr musste man beim Hineingehen sein Handgepäck abgeben. Beim Verlassen des Geschäfts tastete sie die Kunden mit einem kleinen Gerät ab, das sie in der Hand hielt. Wenn es piepste, musste man seine Taschen leeren. Drinnen gab es alles, was ich begehrte: Cola, Vollmilchschokolade mit Haselnüssen und Rosinen, Nougat, Bonbons, Kaugummi. Allein der Anblick der bunten Süßigkeiten, die mir früher so vertraut gewesen waren, machte mich überglücklich, denn ich begann zu verstehen, dass wir nicht mehr auf der Flucht und hier sicher waren, obwohl die Zeichen des Krieges mich schon ein paar Meter weiter einholten. Auf dem Fußboden und auf den Sitzbänken vor den Schaltern saßen überall Flüchtlinge, die an ihrer Sprache und ihrem Aussehen zu erkennen waren, so wie wir auch. Einige schliefen auf einem Fetzen Stoff, den sie hatten retten können, andere starrten geistesabwesend vor sich hin, wie diese Frau mit ihren drei Töchtern, die mir auffiel.

»Hier, mein Kind, das ist unser letztes Geld, hol uns noch etwas zu essen davon«, sagte sie zu ihrer Ältesten, die den zerknüllten Schein mit ihren dünnen, langen Fingern nahm und dann zu überlegen schien, was sie davon als letzte Mahlzeit für sich und ihre Familie kaufen sollte. Sie taten mir leid und ich rannte zu meinen Eltern, die auf einer Sitzbank Platz gefunden hatten, während meine Geschwister umherliefen.

»Papa, da drüben sitzt eine arme Frau«, sprudelte es aus mir heraus und ich erzählte ihm die ganze Geschichte. »Das ist ja traurig, wir sollten ihnen helfen«, sagte er, griff sich in die Hosentasche und zückte zwanzig amerikanische Dollar. »Bring ihnen das!« Als ich der Frau, die sich eben auf den Fußboden hingelegt hatte, den Schein hinhielt, sprang sie auf.

»Hier, das soll ich Ihnen von meinem Vater geben.« Zögerlich griff sie nach dem Geld, so, als ob sie es nicht glauben konnte und noch nach Worten suchte, aber noch bevor sie etwas sagen konnte, rannte ich auch schon wieder davon.

»Heute gehen wir in ein Restaurant!«, verkündete mein Vater, der immer noch auf der Bank saß, und wie aus einer Kehle schrien Nanna, Jamal und ich: »Ja, ja, jaaaaaa!« Auch meine Mutter strahlte übers ganze Gesicht und schaukelte aufgeregt Chuchu auf ihrem Schoß. Früher in Berlin waren wir oft essen gegangen, ich mochte am liebsten



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