Das antike Griechenland: Eine neue Geschichte by Josiah Ober & Martin Bayer & Karin Schuler

Das antike Griechenland: Eine neue Geschichte by Josiah Ober & Martin Bayer & Karin Schuler

Autor:Josiah Ober & Martin Bayer & Karin Schuler [Ober, Josiah & Bayer, Martin & Schuler, Karin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbücher, Geschichtswissenschaft, Altertum, Staatenwelt, Europa, Balkan, Politik & Geschichte, Epochen, Klassische Antike, Allgemein, Vor- & Frühgeschichte, Geschichte nach Ländern, Griechenland, Klassisches Griechenland, Antike, Universalgeschichte, Hellenen, Hellas, Makedonien, Rom
ISBN: 9783608949285
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2016-11-11T23:00:00+00:00


Tabelle 8.1: Die »korinthische Bewertung« bei Thukydides

Nach Thukydides 1,70,2–71. Adaptiert nach der Tabelle in Ober 2010b: 74.

Obwohl die Korinther bei Thukydides das unterschiedliche Verhalten der Athener und Spartaner mit dem »Nationalcharakter« begründeten, hat ihr Hauptargument, nämlich, dass das athenische System sich selbst und seinen Einfluss immer weiter ausdehnen könne, wenn man es nicht rechtzeitig aufhielte, eigentlich nichts mit einem bestimmten Volkscharakter zu tun. Die Korinther scheinen den athenischen Ansatz vielmehr als sowohl attraktives wie in einigen Aspekten nachahmenswertes Modell für andere Gemeinwesen zu betrachten, da sie den Anspruch, Athen »könne der Lehrer Griechenlands sein«, wie ihn Perikles in seiner von Thukydides überlieferten Totenrede erhobenen hatte (Thukydides 2,41,1), indirekt spiegeln. Die Implikation war deutlich: Das konservative Sparta würde weiter stagnieren, während ein Großteil der übrigen griechischen Welt unter Führung des dynamischen, aggressiven und risikofreudigen Athen weiter wachsen würde. Irgendwann wäre dann der Punkt erreicht, an dem die militärische Spezialisierung Spartas alleine nicht mehr ausreiche, um der Stadt ihren Rang als Superpolis zu erhalten, und das würde einen Dominoeffekt von Austritten aus dem Peloponnesischen Bund einleiten. Sparta würde dadurch zwangsläufig isoliert in einer von feindlichen Rivalen beherrschten Welt, die sich entweder aus Furcht oder Ehrgeiz für den athenischen Weg dynamischen Wachstums entschieden hätten.

Wenn die Korinther mit ihrer Einschätzung recht hatten, mussten sich die Spartiaten ernste Sorgen machen. Thukydides’ These, die eigentliche Ursache des Peloponnesischen Krieges sei die Angst der Spartaner vor der zunehmenden athenischen Macht gewesen, erscheint als vernünftige Erklärung einer Kosten-Nutzen-Rechnung sehr plausibel: Die Spartaner hatten keine Angst vor dem Schwarzen Mann, in diesem Fall der demokratischen Regierungsform. Sie hatten Angst vor dem ungewöhnlich raschen Machtzuwachs eines feindseligen Rivalen, dessen Wachstum aller Voraussicht nach nachhaltig sein würde. Unter diesen Umständen hatte Sparta – wenn es seinen Anspruch auf Vorherrschaft nicht ganz aufgeben wollte – gar keine andere Wahl, als einen Präventivschlag gegen Athen zu führen, bevor die Diskrepanz in den Machtmitteln zu groß wurde. Ob es sich dabei um eine Angelegenheit von Monaten, Jahren oder Jahrzehnten handelte, war damals und ist auch heute noch umstritten. Wie lange man mit dem Angriff noch warten könne, wurde von den Spartanern in einer Geheimbesprechung angeblich heiß diskutiert (Thukydides 1,79–87). Aber es ging eben nur darum, wann, nicht ob man angreifen müsse. Thukydides’ Meinung, dass die Kriegsursachen nicht in bestimmten Ereignissen gesucht werden müssen, sondern in tiefen strukturellen Veränderungen der griechischen Welt, in Veränderungen, die wir heute als Auswirkung einer ungewöhnlich starken Blütephase erkennen, erscheint jedenfalls gut gestützt. Und so wurde die Aussicht auf eine zeitlich potenziell unbegrenzte Ära griechischer Blüte zum ersten, aber nicht letzten Mal von zwischenstaatlichen Rivalitäten und machtpolitischen Motiven gefährdet.



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