Berndorf 02 - Schwemmholz by Ulrich Ritzel

Berndorf 02 - Schwemmholz by Ulrich Ritzel

Autor:Ulrich Ritzel [Ritzel, Ulrich]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-05-24T22:00:00+00:00


Freitag, 28. Mai

Die junge Frau sah sich suchend in der Schalterhalle um, als sei sie zum ersten Mal hier. Die Schalterhalle war erst vor kurzem in jenem Stil umgebaut worden, den die Architekten Service-orientiert nennen. Jetzt gab es nur noch für die Kasse einen eigenen Schalter, und die übrigen Angestellten irrten verloren zwischen den Eingabegeräten herum, an denen die Kunden sich selbst bedienen sollten.

Die Frau trug einen schwarzen Rock und über einer nur ganz leicht durchscheinenden Seidenbluse eine so unauffällige Lederjacke, dass sie schon wieder sehr teuer aussah. Sie hatte kurzes dunkles Haar und ein kluges, waches Gesicht.

Eine der Bankangestellten wurde aufmerksam und kam auf sie zu. Ob sie ihr helfen könne?

»Nein. Ja«, antwortete Judith Norden und lächelte rasch. »Ich wollte ein Konto bei Ihnen eröffnen. Ein Sparguthaben.« Sie holte ihren Reisepass aus der Handtasche und einen Umschlag, in dem sie offenbar das Geld hatte. Die beiden Frauen gingen zu einem der Desks, an denen man im Stehen schreiben oder den Bankcomputer bedienen konnte.

Die Angestellte, eine Frau Mitte dreißig, nahm den Reisepass und übertrug die Angaben in ein Formular.

»Sie sind Architektin?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete Judith und sah sich in der Schalterhalle um. »Aber das hier hätte ich nicht so umgebaut.«

»Ach, da bin ich Ihnen direkt dankbar, dass Sie das sagen«, meinte die Angestellte. »Wir finden es auch ganz schrecklich.« Dann fragte sie, wieviel auf das Konto eingezahlt werden sollte. Judith schob ihr den Umschlag hin. Er enthielt acht Tausendmarkscheine.

»Sie sind zum ersten Mal hier bei uns?«

»Ja«, antwortete Judith. »Allerdings habe ich gedacht, ich treffe jemanden, den ich von früher her kenne. Wir waren befreundet, und ich weiß, dass sie hier gearbeitet hat.«

»An den Namen erinnern Sie sich nicht?«

»Sie hieß Vera«, sagte Judith. »Sie hat auch dunkle Haare, ist aber ein bisschen größer als ich. Aber es ist schon über zehn Jahre her. Wir haben uns aus den Augen verloren, weil ich dann zum Studium nach Berlin gegangen bin.«

Die Angestellte sah sie überrascht an. »Ich weiß, wen Sie meinen. Aber sie ist schon vor ein paar Jahren bei uns ausgeschieden. Sie hat geheiratet und lebt irgendwo auf einem Bauernhof in Oberschwaben. Vochezer heißt sie jetzt.«

»Sagen Sie bloß, sie ist eine Bäuerin geworden? Mit Kühen, Kindern und Schweinen? Ich glaub es nicht.«

Die Angestellte sah sie verlegen an. »Kinder hat sie keine. Soviel ich weiß. Aber sie hat auch mit keiner von uns mehr Kontakt. Sie ist sehr abweisend geworden.«



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