Berlin, mit der Bitte um Weisung by Harald Greib

Berlin, mit der Bitte um Weisung by Harald Greib

Autor:Harald Greib [Greib, Harald]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: mitteldeutscher verlag
veröffentlicht: 2014-09-19T16:00:00+00:00


XXVIII.

* * *

Heute findet der Justiz- und Innenrat statt. Ich bin Protokollführer für die deutsche Delegation und weiß nicht, wie ich es durch den Tag schaffen soll. Julia hat ihre Leidenschaft für Salsa entdeckt und mich drei Nächte hintereinander in eine kubanische Bar geschleppt. Zu Hause war die Kaffeedose leer und kein Paket im Schrank, doch ich verbiss mir Bemerkungen, dass sie einkaufen gehen könnte, wenn sie nichts zu tun habe. Ich bin nicht ihr Dukatenesel, sie nicht meine Zugehfrau. Noch wehre ich mich gegen diese traditionellen Schemata, über die auch die anfänglich romantischsten Beziehungen zugrunde gehen, weil im Geflecht der gegenseitigen Abhängigkeiten der geliebte Partner zur abstrakten Vertragspartei mutiert. Aber nun sitze ich hier und kann die Augen nicht aufhalten.

Während ich in der zweiten Reihe hinter vorgehaltener Hand auf den Zeigefinger beiße, damit mein Kopf nicht nach vorne sinkt, verlesen die Minister ihre von ihren Ministerialbeamten verfassten Sprechzettel. Eine anschließende Diskussion findet mangels ausreichender Sachkenntnis nicht statt. Themen, über die nicht vorab in den Arbeitsgruppen oder im Ausschuss der Ständigen Vertreter Einigkeit erzielt wurde, verweist der Ratsvorsitzende »unter Beachtung der vom Rat gegebenen Orientierungshinweise für die weiteren Verhandlungen« in die Arbeitsgruppen zurück, die einige Verhandlungstage aufwenden werden, um sich darüber zu einigen, wohin denn wohl die Minister die Arbeiten orientieren wollten. Im September ist der nächste Rat. Höhepunkt des heutigen Tages ist die Ankündigung des französischen Ministers unter dem Punkt Verschiedenes, dass seine Regierung sich um einen Kompromiss bei der Frage der Harmonisierung der Funkfrequenzen für Polizei- und Rettungsdienste bemühen werde. Nach Monaten des Stillstands ist in dieses Dossier etwas Bewegung geraten.

Mit Ende der Sitzung beeilen sich die Minister, ihre jeweiligen Pressekonferenzen zu veranstalten. Jeder Minister beantwortet getrennt von seinen Kollegen Fragen von Journalisten aus seinem Land. Der Botschafter zieht mich mit im Tross, der üblicherweise dem Minister folgt. Seit ich der deutsche Vertreter in der deutschfranzösischen Arbeitsgruppe »Beobachtungsstelle« bin, glaubt er mich in der besonderen Gunst meines Ministers und will nun – nehme ich an, soweit mein Gehirn noch zu logischem Denken fähig ist – dem Minister zu verstehen geben, dass er zuallererst der Mentor dieses jungen, vielversprechenden Beamten war, also einen Blick für Talente habe. Jede Faser in meinem Körper tut mir weh, als ich auf einem der Stühle im Zuschauerraum Platz nehme und mich nach einem Bett sehne. Journalisten verlieren sich vielleicht vier oder fünf im Saal und zwischen den Beamten. Bevor ich in einen Sekundenschlaf zu versinken drohe, glaube ich, Jean entdeckt zu haben. Die Überraschung weckt mich wieder etwas auf. Er ist es, macht mir Zeichen, fährt mit der offenen Hand sein Gesicht von oben nach unten ab, schüttelt sie dann wild im Handgelenk und lacht. Dass ich ziemlich übel aussehe, weiß ich selbst.

Der Minister verliest die von seinem Pressesprecher verfasste Erklärung. Der Pressesprecher fordert die Journalisten auf, Fragen zu stellen. Jean meldet sich als einziger. Ich brauche kein Aufputschmittel mehr.

»Jean Martin, von Libération, Frankreich«, stellt er sich vor, »Herr Minister, können Sie uns erklären, warum die Beobachtungsstelle für die Effizienz der europäischen polizeilichen



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