Angezogen by Vinken Barbara
Autor:Vinken, Barbara
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Klett-Cotta
veröffentlicht: 2013-02-02T05:00:00+00:00
Flügel: Was die Mode streng geteilt
Die andere große Ausprägung der Modetheorien hat als grundlegende Kategorie das Geschlecht und als ihre zentrale Opposition die von Mann und Frau. Manchmal, nicht immer, geht es hier nicht um Macht, sondern um Lust. Hier werden Geschichten erzählt, die die Entwicklung der Ästhetik und die Entwicklung der Gesellschaft aus einer der Mode inneren Logik vorwegnehmen. Perspektiven werden entworfen, gesellschaftliche oder ästhetische Ideale proklamiert. Die Mode ist in diesen Beschreibungen Privileg oder Bürde der Frauen geworden. Anders als von reinem Distinktionsstreben getrieben, drückt die Mode in diesen Theorien etwas aus. Sie ist die Sprache der weiblichen Reize. Die ästhetische Entwicklung der Mode ist von der Veränderung der Geschlechterverhältnisse abhängig. Mit dem Voranschreiten der Emanzipation – der verstärkten Teilhabe der Frauen am Arbeitsmarkt und am öffentlichen Leben – würde sich die Frauenkleidung der zweckmäßigen, wenig ostentativen Herrenmode annähern und endlich modern werden. Während Simmel die Mode als Moment der Differenzierung für anthropologisch gegeben hält, aber durch Moderne und Demokratie befördert sieht, parallelisiert John Carl Flügel witzig die »große französische Revolution« mit der »großen männlichen Entsagung«. Am Anfang unserer Moderne kommt es zu einem entscheidenen Bruch in der Modegeschichte:
»Um diese Zeit herum kam es zu einem der bemerkenswertesten Ereignisse in der ganzen Geschichte der Kleidung, unter dessen Einfluss wir noch immer stehen. Längst ist ihm nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Männer verzichteten auf all die glänzenden, heiteren, raffinierten und abwechslungsreichen Formen des Schmückens. Das überließen sie von nun an den Frauen. Das männliche Schneiderhandwerk wurde jetzt zu einer nüchtern strengen, asketischen Kunst. Unter Modegesichtspunkten ist es nicht übertrieben, von der ›Großen Männlichen Entsagung‹ zu sprechen. Der Mann gab den Anspruch auf, für schön gehalten zu werden. Ihm ging es nur noch darum, nützlich zu sein. Wenn Kleider für ihn überhaupt noch von Bedeutung waren, dann war es höchstes Ziel seiner Bemühungen, korrekt angezogen zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Männer und Frauen um glänzendes Auftreten gewetteifert. Das einzige Vorrecht der Frauen war das Dekolleté und anderes, erotisches Zurschaustellen des tatsächlichen Körpers. Von diesem Zeitpunkt an bis zum heutigen Tag kamen nur noch Frauen in den Genuss des Privilegs, sogar die Kleider betreffend allein im Besitz von Schönheit und Prächtigkeit zu sein.«85
Kurz, die Herren verzichten auf das Attribut, das sie doch im Namen tragen: die Herrlichkeit. Die bürgerliche Gesellschaft konstituiert sich, Flügel zufolge, durch diese »große männliche Entsagung«. Fast alle Leute, die sich mit Mode beschäftigen, beschreiben dieses Phänomen nicht als einen Verlust an Lust für die Männerwelt, sondern als ein ästhetisches, stilistisches, ja moralisches Plus. Ästhetische Trends wie die Neue Sachlichkeit unterstützten diese Argumentationslinie noch. In dieser Perspektive bleibt dann die Frauenmode anachronistisch, unvernünftig, hässlich absurd, übertrieben, hypertroph, oversexed. Nicht so Flügel. Er sieht in der Mode der Moderne den Verlust eines Privilegs und eine den Männern abverlangte, schmerzhafte Sublimationsleistung. Die Heraufkunft des bürgerlichen Zeitalters führt zu einer Verkehrung der bisherigen Kleiderordnung. Ursprünglich, so Flügel, waren Frauen das bescheidenere, schamhaft angezogenere, bedecktere und Männer das stärker geschmückte, in seiner Kleidung stärker erotisierte Geschlecht. Männer gockelten herum; herrlich paradierten sie.
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