Die Stadt hinter dem Strom by Kasack Hermann
Autor:Kasack, Hermann [Kasack, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
XIV
Von dem Zeitpunkt an, da der Archivar der Versammlung der Maskierten beigewohnt hatte, lag ein Schleier vor seinen Augen. Ein rasender Kopfschmerz überfiel ihn oft, als ob sich Nadelstiche in das Gehirn bohrten.
Wenn er durch das Archiv ging, stieà er sich an einem der Lesetische oder einem Stuhl. Wollte er ein Buch hervorziehen, griff er ins Leere. Ihm war, als schwappe die Hirnschale, wie er es aus Zeiten der Erschöpfung nach übermäÃiger Anstrengung kannte. Die Litanei, die um Erbarmen schrie, das Miserere nobis verlieà ihn nicht mehr. Als ihm einmal die Reproduktion eines Bildes zu Gesicht kam, auf dem der heilige Sebastian dargestellt war, wie er von Pfeilen durchbohrt auf das Anschwirren des nächsten wartete und in einem lebenden Sterben dastand, heftete er das Blatt an die Wand.
Die Vorgänge, denen er sich seit seiner Ankunft in der Stadt hinter dem Strom ausgesetzt sah, verloren das Greifbare des Zusammenhangs. Zuweilen tauchten Einzelheiten auf wie Umrisse von zerstörten Bildern, scharfe Kanten, an denen sich das Gedächtnis wund riÃ. Und wenn er sich ihrer erinnerte, suchte ihn eine Traurigkeit heim, aus der die Verlassenheit des Lebens sprach. Und doch schien allem ein bestimmter Sinn zugrunde zu liegen.
Er wuÃte nicht mehr, wie lange er sich hier schon aufhielt; bald schien es ihm eine Spanne von wenigen Tagen zu sein, bald die eines halben Jahrhunderts. Er saà an seinem Pult im Archiv, ging durch die Gewölbe, wo die Gehilfen gleichmäÃig ihre Obliegenheiten verrichteten, ohne daà sich eine Stunde von der anderen unterschied. Wenn er mit Perking einige Worte wechselte, so blieben sie an der Oberfläche, bezogen sich auf Angelegenheiten des Amtes und drangen nicht zur Deutung eigener Fragen vor.
Er war ein Glied in der Kette geworden, wie sie seit jeher im Plan der Präfektur lief. Er ahnte nicht, ob der Hohe Kommissar mit seiner Tätigkeit einverstanden war, mit der Art, wie er seines Amtes waltete. Es kümmerte ihn auch nicht mehr. Seit dem Telefonanruf, der ihn einmal im Freskenkeller der Kunststeinfabrik überrascht hatte, war keine unmittelbare Weisung mehr ergangen. Dennoch spürte Robert, daà er keineswegs in Vergessenheit geraten war, daà man im Gegenteil über jeden Augenblick seiner Lebensweise unterrichtet zu sein schien und ihm die Gelegenheit zu allen seinen Schritten zuspielte. Er war überzeugt, daà beispielsweise die Abordnung, die ihn zu der Maskenversammlung aufgefordert hatte, auch auf höheren Wink zu ihm gekommen war.
Einmal hatte Katell flüchtig vorgesprochen, blasser als sonst, dünnhäutig anzusehen. Er hatte sich erkundigt, ob Robert noch mit Anna in Verbindung stehe, und von der Unruhe berichtet, die allenthalben die Stadt durchziehe. Es schien, als wolle er vom Archivar in Erfahrung bringen, ob ihm etwas über die Veränderungen bekannt sei, die gegenwärtig vor sich gingen. Aber Robert hatte erst durch ihn gehört, daà die Zahl der täglich neu Ankommenden die normalen Zugänge weit überschreite und sich von Mal zu Mal steigere. Der Archivar entsann sich eines ähnlichen Hinweises von Anna, den sie im Hinblick auf die Tempelkasernen der Soldaten gemacht hatte. Katell war der Meinung, daà die Unterbringung der Massen, selbst wenn man
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