Zwei Leichen für Kokoschinski by Lars Franke

Autor:Lars Franke [Franke, Lars]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-941683-35-8
Herausgeber: Steffen Verlag
veröffentlicht: 2015-08-10T16:00:00+00:00

Auch Kriminalhauptkommissar Kunze brummte der Kopf. Wenn auch aus ganz anderen Gründen als bei seinem Schulfreund Kokoschinski. Der »Odertal«-Ordner auf dem Schreibtisch wurde dick und dicker. Und im Rechner fügte sich eine Seite an die andere. Im Grunde genommen gab es keine heiße Spur. Dafür eine ganze Menge Tatverdächtiger. Seine Kollegen waren den ganzen Tag über unterwegs gewesen. Alle Protokolle hatte Kunze noch nicht lesen können. Aber wenn er das bisherige Material richtig interpretierte, versuchten alle Vernommenen irgendwie zu mauern. Nicht dass sie logen, aber jeder aus der Sonderkommission hatte ein vages Gefühl, immer nur die halbe Wahrheit zu erfahren.

Der Bericht aus der Gerichtsmedizin war dagegen recht konkret. Beide Opfer waren durch Schussverletzungen gestorben. Der Frau hatte man allerdings schon zuvor den Schädel zertrümmert. Der Kommissar rief sich den Überfall auf Kokoschinski in Erinnerung. Er machte sich Vorwürfe. Ein erfahrener Kriminalist durfte einfach nicht einen Amateur zur Verbrecherjagd anregen!

Bei beiden Morden, so vermuteten die Pathologen, könnte es sich um Hinrichtungen gehandelt haben. Die Täter wussten genau, wohin sie zu zielen hatten. Möglicherweise Profis. Beide Opfer waren etwa zeitgleich gestorben. Am 30. April zwischen 17 und 21 Uhr. Plus/minus eine halbe Stunde.

Dagegen überraschte das Ergebnis der Ballistiker. In beiden Fällen stammten die tödlichen Kugeln aus der gleichen Waffe. Aus der gleichen Waffe, nicht aus derselben Waffe. Jedes Mal eine Pistole vom Typ Makarow, Kaliber 9 Millimeter. Die Pistole, eine sowjetische Konstruktion, wurde früher von Wladiwostok am Stillen Ozean bis zu den Grenzübergängen an der innerdeutschen Grenze verwendet.

Bei der Polizei und beim Zoll, der Armee und der Marine. Bei den »Kampfgruppen der Arbeiterklasse«, wie sich die SED-Milizen nannten. Sogar bei den Staatssicherheitsdiensten. Zu DDR-Zeiten war eine Makarow auch die persönliche Waffe von Volkspolizei-Hauptmann Hanno Kunze gewesen. Die Pistole stand im Ruf, besonders robust und zuverlässig zu sein. Wahrscheinlich war sie auch als Lizenz in anderen Warschauer Vertragsstaaten nachgebaut worden. In vielen Armeen der Dritten Welt wurde sie noch heute geschätzt. Auch in Rebellen-Bewegungen der unterschiedlichsten politischen Richtungen. Nach der Wende konnte man so eine M preisgünstig erstehen. Aus Beständen der NVA. Aber noch mehr aus den Arsenalen der abziehenden Sowjettruppen. Für 750 D-Mark auf dem schwarzen Markt. Einen vollen Kampfsatz Munition inklusive. Wie viele Patronen waren das eigentlich? 18 oder 24 oder 36? Kunze hatte es vergessen. Viel zu lange war das alles her.

Das Fax-Gerät sprang an. Ein Papier aus Stettin. Die Waffe, mit der der Pole ermordet wurde, war dort nicht unbekannt. Mit dem Namen des gegenwärtigen Besitzers konnte man allerdings nicht aufwarten. Mit der Pistole war vor zwei Jahren geschossen worden. Bei einem Überfall auf einen illegalen Spielsalon in Danzig. Wahrscheinlich Schutzgeld-Erpressung. Zwei Männer wurden leicht verletzt. Der Fall wurde nie aufgeklärt. Die Opfer konnten sich angeblich an nichts erinnern. Der Hinweis auf Danzig war wenigstens ein Ansatz. Das klang nach organisiertem Verbrechen.

Kunze zog sich die Tastatur seines Rechners heran. Den Antrag auszufüllen, um EUROPOL einzuschalten, war reine Routine und kostete ihn nur wenige Minuten.

Obwohl es schon später Abend war, wollte er noch eine letzte Arbeit zu Ende bringen.

Dazu beugte er sich über einen DIN-A4-Block – kleinkariert.

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