Zahltag by Petros Markaris
Autor:Petros Markaris [Markaris, Petros]
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: Kriminalliteratur
ISBN: 9783257601862
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2012-09-21T14:05:25+00:00
[223] 29
Die Namensliste des nationalen Steuereintreibers ist die Spitzenmeldung auf allen Kanälen. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bildet da keine Ausnahme. Offenbar hält die Regierung diesmal eine Geheimhaltung für überflüssig. Ich erkläre Adriani in wenigen Worten den Sachverhalt, damit sie weiß, was auf sie zukommt. Trotzdem bin ich fast noch überraschter als sie, als ich feststellen muss, dass auf der Liste der TV-Sender noch zwei weitere Namen aufscheinen, die die Gesamtsumme auf sieben Millionen achthunderttausend hochtreiben. Offensichtlich war Spyridakis’ Liste nicht vollständig. Andererseits könnte auch die Tilgung der Steuerschulden in der Zwischenzeit einfach weitergegangen sein.
Nachdem sich Adriani die einführenden Worte der Moderatorin angehört an, liest sie die Liste durch. Schließlich schlägt sie das Kreuzzeichen und meint: »Herr, steh mir bei! Unsere frischgebackenen Doktoren sehen sich gezwungen, nach Uganda auszuwandern, während ein Mörder die Steuern eintreibt, die eigentlich der Staat einkassieren sollte. Was für ein unwürdiges Schauspiel!«
Ich mische mich nicht ein, da ich voller Neugier auf den Kommentar der Moderatorin warte. »Wir werden gerade Zeugen eines noch nie da gewesenen Phänomens, meine Damen und Herren. Und das gilt nicht nur für Griechenland, [224] sondern weltweit. Einem Mörder ist es gelungen, sieben Millionen achthunderttausend Euro an Steuern einzunehmen. Und das in einer Zeit, in der weder der Staat noch – entgegen allen erklärten Bemühungen – die Regierung irgendwelche Erfolge im Eintreiben von Steuern verzeichnen.« Sie hält inne und wendet sich an den gegenübersitzenden Nachrichtenkommentator. »Wie lautet Ihre Einschätzung, Nikos?«
»Tja, Eleni, in der Tat handelt es sich um ein weltweit einzigartiges Phänomen«, bestätigt er. »Doch das ist vermutlich zweitrangig angesichts der Tatsache, dass der selbsternannte nationale Steuereintreiber etwas geschafft hat, worum sich der offizielle Staat seit Jahrzehnten erfolglos bemüht. Es ist ihm geglückt, den öffentlichen Kassen innerhalb von zehn Tagen eine für griechische Verhältnisse enorme Summe zuzuführen.«
»Hören wir uns einmal an, was der stellvertretende Finanzminister dazu zu sagen hat«, schlägt die Moderatorin vor.
»In seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken«, lautet Adrianis Zwischenbemerkung.
Das für Liveschaltungen typische Fensterchen öffnet sich und zeigt den Vizefinanzminister. Auch mir ist schleierhaft, wie er jetzt argumentieren will. Doch im Grunde erübrigen sich alle Worte, denn seine Miene spricht Bände.
»Herr Minister, wie kommentieren Sie die neue Wendung im Fall des selbsternannten nationalen Steuereintreibers?«, fragt die Moderatorin.
»Eins möchte ich gleich klarstellen: Die griechische Regierung ist nicht auf die Mithilfe eines Mörders angewiesen, [225] um die fälligen Steuern einzunehmen«, entgegnet der Vizeminister großspurig.
»Ja, aber erwiesenermaßen ist die Regierung ohne sein Zutun nicht in der Lage dazu«, hält ihm der Nachrichtenkommentator vor. »Während im Parlament ein Gesetzentwurf nach dem anderen eingebracht wird, hat der Mörder, wie Sie ihn titulieren, der Staatskasse innerhalb von nur zehn Tagen 7,8 Millionen Euro eingebracht. Und das in einer Zeit, in der die Regierung öffentlich eingestehen muss, dass die Staatseinnahmen den Erwartungen hinterherhinken.«
Nacheinander hageln die Fragen der Moderatorin auf den Vizefinanzminister ein. »Meinen Sie nicht, dass sich dadurch für die Regierung ein gewaltiges moralisches Problem ergibt?«
»Diese Ansicht teile ich absolut nicht, sondern ich sage Ihnen noch einmal: Der Staat ist auf die Mithilfe eines Mörders nicht angewiesen, um zu seinem Recht zu kommen.
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