Winzersterben by Wagner Andreas

Autor:Wagner, Andreas [Wagner, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863588281
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 2015-03-03T16:00:00+00:00

31

Kurt-Otto hatte der Kleinen keinen Ärger machen wollen und sie allein zurückgelassen. Zuvor hatte er sich noch nach ihrer Mutter erkundigt. Beide wohnten sie mittlerweile in Rüsselsheim. Gerds Exfrau Manuela hatte die Nase voll von Männern und war nach der Trennung nie wieder eine Beziehung eingegangen. Die Nachricht von seinem Tod hatte sie aber dennoch reichlich mitgenommen. Ob sie es fertigbrachte, zur Beerdigung zu kommen, wusste ihre Tochter allerdings nicht.

Wie schnell so etwas doch zerbrach und wie lange es für Leid sorgte.

Kurt-Otto hatte es gestern vermieden, der trauernden Tochter von der ukrainischen Freundin des Vaters zu berichten. Vielleicht wusste sie ja sogar von ihr, wenn sie sich wirklich häufiger mit dem Gerd getroffen hatte.

Er schüttelte sachte den Kopf. Trotz aller Aufmerksamkeit entging ihm in letzter Zeit doch einiges von dem, was im Dorf geschah. Dass dem Mädchen vorher nie jemand über den Weg gelaufen war, wunderte ihn.

Plätschernd floss milchig trüb der noch gärende Wein aus dem dünnen Schlauch in den Messbehälter, den er in der Hand hielt. Renate war seit zwei Stunden in der Schule. Er hatte die halb geöffnete Bratwurstdose gefahrlos unter den Holzfässern hervorholen und sich damit ein ordentliches zweites Frühstück zubereiten können, mit dunklem Roggenbrot, einem guten Senf und eigenen eingelegten Gurken. Zur Belohnung, und weil seine Stimmung heute prächtig war, nahm er einen ordentlichen Schluck aus dem schmalen Gefäß. Das gehörte dazu, wenn man routinemäßig den Gärverlauf der Moste zu kontrollieren hatte. Eigentlich war es eine tägliche Pflichtaufgabe, die sich jedoch unter dem Stress der Lese oft zur Bürde entwickelte. An vielen Tagen war er nach der Weinbergsarbeit, dem Keltern, dem Reinigen der benötigten Fässer und dem Ausbringen der Trester nicht mehr in der Lage, auch noch die gärenden Säfte durchzumessen.

Er ließ den süßen jungen Wein im Mund kreisen, und ihm entfuhr ein zufriedenes Schmatzen. Der hatte ihn nicht gebraucht in den letzten Tagen. Die Natur regelte das ganz von selbst, ohne sein Dazutun. Zumindest in den meisten Fällen.

Vorsichtig ließ er die Mostwaage in die Flüssigkeit gleiten. Ein paarmal wippte das schmale Röhrchen, das wie ein etwas zu groß geratenes Fieberthermometer aussah, noch auf und ab. Dann verharrte es, sodass er den verbliebenen Oechslegrad ablesen konnte. Mit dem Beginn der alkoholischen Gärung mussten es kontinuierlich weniger Oechsle werden, weil die Hefen den Zucker verzehrten. Geriet die Gärung ins Stocken, erkannte man das am sich verlangsamenden Absinken des Oechslegrads, und man konnte durch eine leichte Erwärmung den Hefen wieder auf die Sprünge helfen. Eine enge Taktung der Messungen war daher wichtig. Bei seinem Riesling hier ging es ihm aber nicht um eine restlose Umwandlung der Süße. Der sollte einen Rest davon behalten. Das stand ihm gut, weil sich zusammen mit der fruchtigen Säure eine feine Balance einstellte. Außerdem blieb er dadurch etwas leichter und niedriger im Alkohol.

Gestern Abend hatte er nämlich noch lange wach gelegen und über alles nachgedacht. Der Jahrgang war wirklich ein ganz besonderer, und wenn er nicht doch ein kleines Fass für sich abfüllte, würde er sich das in ein paar Jahren, wenn er all seine Weinberge verpachtet hatte, niemals verzeihen können.

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