Vom Aushalten ausfallender Umarmungen by Dirk Bernemann

Vom Aushalten ausfallender Umarmungen by Dirk Bernemann

Autor:Dirk Bernemann [Bernemann, Dirk]
Die sprache: eng
Format: epub
Herausgeber: UnsichtbarVerlag
veröffentlicht: 2016-02-27T00:00:00+00:00


In der Stille der Idylle läuft die Lülle

Es spuckt auf Mias Hose. Erst so ein bisschen, dann ein wenig mehr und die Mutter nimmt es wieder an sich mit einem Blick aus Niedertracht und Verachtung und dem verzweifelten Versuch, auch ein bisschen Liebe beizumengen. Julia nimmt ihre Tochter auf den Arm und hetzt durch die Küche. Setzt sich dann auf einen Stuhl und steckt dem Kind nach einiger Zeit ihre linke Brust in den Mund, wo, einmal offiziell angedockt, dieses zufrieden glucksend zu saugen beginnt. Mia schaut ihrer Schwester bei der Aufzucht ihrer Brut zu. Da strahlt die Erhabenheit guter, unanfechtbarer Menschen aus Julias Blick. Mia weiß um das Wertesystem, dass Julia sich angeeignet hat. Frau mit Kind ist größer als Frau ohne Kind. Die Geburt war irgendwie stressig, aber jetzt ist sie endlich da, die kleine Victoria und verzückt durch ihre Niedlichkeit ihre Umwelt und spuckt auf Mias Hose.

Mia kennt 6 schlimme Männernamen:

1) Stefan

2) Jörg

3) Uwe

4) Andreas

5) Vladimir

6) Greg

Es hat keinen zielgerichteten Blick, die Bewegungen wirken wie niedliche Unfälle und eigentlich kann es nichts und das wird vorerst auch so bleiben. Aber genau das macht aus Julia etwas Übermenschliches, dass sie diese kleine Kreatur aus sich herausgewuchtet hat, um sie am Leben zu erhalten und etwas später hat das Kind eine Blockflöte im Gesicht, ein Akkordeon um den Hals, Ballett- oder Fußballschuhe an den Füßen und kopiert den Karriereblick ihrer Mutter. Macht dann eine Zeit, was Julia so macht, die kleine Victoria, und wird dann vielleicht doch Sängerin einer Grindcoreband, die ihr Publikum auf Konzerten mit Hackbratenresten bewirft, um einerseits die Sinnlosigkeit von Hackbraten aufzuzeigen, aber um andererseits auch bewusst am Eigenekel der Konsumgesellschaft teilzunehmen.

Julia blickt ihre Schwester an, während das Kind sie leertrinkt. Mia wohnt irgendwo, macht irgendeinen Job und hat ihr lockeres soziales Umfeld, geht auf Konzerte, Ausstellungen und zum Sport, wohingegen Julia zwei Jahre jünger und mit voller Absicht verheiratet ist. Mit einem Mann, der Timo heißt und der irgendwas mit Computern macht, was nicht in die Kreativbranche einzuordnen ist. Er geht morgens aus dem Haus und kommt abends wieder heim und ist auch zwischendurch ein stolzer Vater. Julia wartet auf ihn und hält das Kind fest. Obwohl sie emanzipiert ist, behauptet sie, aber sein Job war halt der lukrativere.

Mia geht in die Küche und nimmt sich ein Zellstofftuch, um die Babyspucke von ihrer Hose zu reiben und spürt dabei Julias klagenden Blick, der sich in ihren Rücken bohrt, der auch ein paar Fragen beinhaltet. Warum findest du die Babyspucke nicht niedlich? Was ist los mit deinem unschwängerbaren Körper, dass er überall nur im Weg steht und niemand auf die Idee kommt, ihn zu befruchten? Was ist so falsch an dir, dass dich nur die wollen, die dann, wenn es konkret wird, andere Pläne haben? Was ist so geil an mir, dass ich es geschafft habe? Julia grinst und Mia verreibt Spucke auf ihrer Hose.

Sie kommt zurück ins Wohnzimmer und die beiden reden geschwisterliche Gemeinplätze. Bloß nicht persönlich werden, denn der jeweilige Lebensweg hat ja mit Entscheidungen zu tun, die es dann zu rechtfertigen gelte.



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