Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) by Thomas Enger

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) by Thomas Enger

Autor:Thomas Enger [Enger, Thomas]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
veröffentlicht: 2013-11-10T23:00:00+00:00


47

Es ist, wie nach einem Knock-out aufzustehen, um gleich darauf den nächsten Schlag ins Gesicht zu kassieren. Gerade als sie die eine Spur in ihrem ersten Mordfall ad acta legen wollen, erhalten sie die Nachricht von einem zweiten Mord. Und das heißt, dass sie sich die nächsten achtundvierzig Stunden auf den neuen Fall konzentrieren müssen. Er hat das Gefühl, als würde der Stapel der zu bearbeitenden Dinge immer höher.

Bjarne parkt vor der Polizeiabsperrung neben einigen Streifenwagen. Er bleibt einen Moment lang sitzen und beobachtet, wie das Abendlicht auf die vom Dauerregen der letzten Tage nassen Hausdächer fällt. Ein neues Tief ist im Anmarsch.

Wie üblich hat sich bereits eine hübsche Ansammlung Schaulustiger eingefunden und steht in neugieriger Andacht zusammen, angetrieben von einer morbiden Erwartungshaltung. Bjarne begegnet Emil Hagen am Eingang des Hauses.

»Was genau ist passiert?«, fragt Bjarne.

Hagen schiebt sich eine Portion Snus unter die Oberlippe.

»Eine Frau Mitte dreißig ist erwürgt worden. Vorher scheint es einen Kampf gegeben zu haben.«

Bjarne hebt den Blick und mustert den Wohnblock. Graue Mauern mit verschmierten Graffiti. Fenster mit Blick auf die Stadt. Dahinter wirkt jedoch alles dunkel wie unbewohnt. Das Absperrband zieht sich um das ganze Haus herum. Rechts und links blinken Blaulichter an einem weiteren grauen Oslotag.

»Das Opfer heißt Johanne Klingenberg«, erklärt Hagen.

»Wer hat sie gefunden?«, fragt Bjarne.

»Die Nachbarin. Sie ist gleichzeitig auch die Vermieterin. Sie hat die Katze jaulen hören. Das scheint ein Dauerthema gewesen zu sein – auf jeden Fall hat sie geklopft und wollte dem Spektakel ein Ende machen. Als sie keine Antwort erhielt, hat sie einfach die Klinke hinuntergedrückt. Die Tür war offen.«

»Und von alldem, was da vorher passiert ist, hat sie nichts mitbekommen?«

»Nein.«

»Haben andere Nachbarn etwas gehört oder gesehen?«

»Keine Ahnung«, sagt Hagen. »Ich bin selber gerade erst gekommen.«

Bjarne sieht sich um. »Ich gehe hoch und sehe mich mal um.«

»Gut«, antwortet Hagen. »Ich klappere dann wohl mit Sandland die Nachbarn ab.«

Das Treppenhaus riecht nach Schimmel. Eine Lampe hängt schief, die Glühbirne fehlt. Die Miete ist bestimmt ebenso hoch wie bei Daniel Nielsen, denkt sich Bjarne, auch wenn hier die Wände noch eine Spur dunkler und speckiger wirken.

Die Tür zur Wohnung des Opfers in der zweiten Etage steht offen. Er tritt ein und erkennt bekannte Gesichter. Auch die Kriminaltechnikerin Ann-Mari Sara ist da.

»Du bist ja wohl auch überall«, sagt Bjarne.

»Wenn in dieser Stadt so viele Leute sterben …«

Sara macht Fotos, während Bjarne ins Wohnzimmer hinübergeht. Die Kampfspuren sind unübersehbar. Ein Kissen liegt am Boden. Der Glastisch ist umgestürzt, ohne dass er aber zerbrochen wäre. Fernbedienungen liegen auf dem Boden verstreut, aus einer sind die Batterien herausgefallen. Der braune, abgetretene Teppich unter dem Tisch ist verrutscht, vermutlich als der Tisch darüber beiseitegestoßen wurde. Die Scherben einer Porzellantasse liegen in einer karamellfarbenen Lache. Tee, denkt sich Bjarne, die schwarzen Klümpchen drum herum, das ist Tee. Oder Snus? Oder vielleicht auch Zigarettenasche.

Das Opfer liegt auf dem Rücken auf dem Sofa. Das lange Haar rahmt den Kopf der Frau ein wie ein Kranz. Neben ihr liegt ein Haargummi, braun wie der Sofabezug. Ein Bein liegt schräg über dem Sofakissen.



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