Verdammtes Land: Eine Reise durch Palästina (German Edition) by Andreas Altmann

Autor:Andreas Altmann [Altmann, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2015-01-21T00:00:00+00:00

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Nach dem Goldstein-Attentat wurden die Eingänge getrennt. Seitdem führt einer in die Moschee, der andere in die Synagoge. (Sie wurde nach 1967, mit Waffengewalt, von den Siedlern im nördlichen Teil des imposanten Gebäudes eingerichtet.) Mit je einem eigenen Checkpoint. Und Bewaffneten auf dem Dach. Man hat mir geraten, bei der Kontrolle auf die Frage nach meiner Konfession mit »I am a Christian« zu antworten. Denn Christenmenschen dürfen rein, Muslime nicht. Ich denke gar nicht daran, das Idiotenspiel mitzumachen, und so erwidere ich auf die Frage des Soldaten, an wen ich »glaube«, mit: »In nobody.« Er versteht nicht. Das macht nichts, immerhin begreift er, dass ich nicht Allah anbete. Das beruhigt ihn, ich darf weiter. Am Metalldetektor hängt ein Attest vom Rabbinat: Dieses Gerät hat die ausdrückliche Erlaubnis, selbst an einem Samstag – am Sabbat, dem Ruhetag – aufzuleuchten. Man muss grinsen, ganz unvermeidlich.

Ich gehe an mehreren Räumen vorbei, auch am Studierzimmer, wo die Thora unterrichtet wird. Ein paar Studenten sind über den Büchern eingeschlafen. Wie erschöpft ihre Gesichter aussehen. Wenn ich etwas vom jüdischen Glauben verstanden habe, dann: Er ist eine Last, eine schier das Herz zermalmende Bürde. Ja, Mitgefühl überkommt mich und die Frage, warum sich ein Mensch das antut. Dieses Joch, diese Schwere, dieses Wissen, dass ihr Gott nie, absolut nie, mit seinen Getreuen – und Himmel, was sind sie treu – zufrieden ist. Ich kenne diesen masochistischen Irrsinn vom Katholizismus: als Ex-Katho, der von der christlichen Wut auf die Lebensfreude gekostet hat. Aber jüdische Fromme, die haben noch weniger zu lachen.

Viele wippen mit ihrem Oberkörper vor und zurück, jemand hält sein Smartphone in der Hand. Wie ich später erfahre, schaut der Gläubige auf eine App, die ihm anzeigt, wie oft und wie lange er wippen und beten muss. Das soll keinen erstaunen, denn Israelis gelten als wahre Technik-Wunderkinder. Durch eine ebenfalls vergitterte Öffnung kann man auf den Kenotaph von Abraham blicken (und auf die gegenüberliegende Luke, hinter der die Moschee liegt). Mehr Nähe ist nicht denkbar. An einer Seitenmauer führt diskret eine Tür in den Aufenthaltsraum der wachhabenden Soldaten.

Jetzt beginnt eine der intensivsten Stunden dieser Reise. Ich habe ja schon vor Jahren die »Gesellschaft der Fassungslosen« gegründet, wohl aus dem Empfinden heraus, dass mich die Gedanken und Taten der Weltbewohner schlicht überfordern, ich sie nicht mehr fasse. Aber was ich jetzt erfahre, macht fassungsloser denn je.

Eher harmlos fängt es an. Ich nehme einen Waschzettel zur Hand, auf dem das Anlegen und Tragen der Tefillin beschrieben wird, jener schwarzen Gebetsriemen, an denen sich zwei kleine, kubische Gebetskapseln befinden. Eine wird auf die Stirn gebunden, die andere an den linken (oder rechten) Oberarm. Und sechs junge Männer, alle Haredim und nicht älter als 25, sind geduldig bereit, mir die Bedeutung der Gebetsausrüstung zu erklären: In den beiden Schächtelchen liegen Pergamentzettel mit Zeilen aus der Thora. Sie sollen daran erinnern, den Geboten Gottes zu folgen, sprich an die Liebe zu IHM zu gemahnen. Nein, von der Liebe zu den Menschen steht nichts geschrieben. Die ganze Liebe gehört ihm, denn ER hat sie, die Israeliten, aus der Sklaverei in Ägypten gerettet.

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