Untergetaucht: Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940 - 1945 (retail) by Marie Jalowicz-Simon

Untergetaucht: Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940 - 1945 (retail) by Marie Jalowicz-Simon

Autor:Marie Jalowicz-Simon
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Spiegel Bestseller 13-2014
ISBN: 9783104028972
Herausgeber: Fischer e-books
veröffentlicht: 2014-02-27T23:00:00+00:00


7

Die Hellers waren bis zuletzt ein tief widersprüchliches Paar. Wenn Irmgard Heller ihren Kopf leicht zurückwarf, so dass man ihr schönes Profil mit der altdeutschen Frisur sah, dann hatte ich das Gefühl: Sie guckt sich diese jüdischen Frauchen mit dem Stern im Wartezimmer ihres Mannes mit allen traditionellen antisemitischen Vorurteilen an. Umso höher war es ihr anzurechnen, dass sie den Rest ihrer Lebenskraft dafür hingab, Juden vor den größten Verbrechern der Menschheitsgeschichte zu retten.

Mit ihm, dem überzeugten Linken, sprach ich manchmal über Politik. Einmal sagte ich, dass der Krieg verloren werden müsse, um Deutschland und die Menschheit von dem Hitlerregime zu befreien. »Aber du kannst doch nicht die Niederlage unserer Wehrm…«, rutschte es ihm da heraus. Und dann klappte er diesen Satz erschrocken mit der flachen Hand wieder zurück in seinen Mund. Ich war entsetzt. Ich hatte noch keinen Nazigegner getroffen – von der Toilettenfrau Ida Kahnke über den Feuerwehrmann Emil Koch bis zum Siemens-Vorarbeiter Max Schulz –, der nicht überzeugt davon gewesen wäre, dass der Krieg von den Alliierten gewonnen werden musste. Ich fing mit Heller keine Diskussion an, weil er selber gemerkt hatte, was er gesagt hatte. Aber die Gesinnung, die da zum Vorschein kam, passte zu den Schmissen in seinem Gesicht.

Immer wieder kam es zum Streit zwischen uns. Einmal lag Frau Heller, die ja unter Herzbeschwerden litt, auf der Couch ihres Esszimmers. Auf dem Tisch stand eine ziemlich große, offene Schachtel mit Konfekt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. So etwas gab es im normalen Lebensmittelhandel schon lange nicht mehr.

Benno Heller bemerkte meinen Blick: »Wir teilen uns das Konfekt«, sagte er lachend: »Erst isst sie die eine Hälfte, dann teilen wir uns die übrig gebliebene Hälfte, dann teilen wir noch mal und so weiter – bis sie alles allein aufgegessen hat!«

»Später werde ich hoffentlich mal ein ganz normales Leben führen«, antwortete ich da, »dann lade ich Sie beide zum Kaffee ein. Und wir knabbern ein bisschen Konfekt dazu.« Der letzte Satz war mir einfach so herausgerutscht. Der kranken Frau Heller gegenüber war diese Bemerkung natürlich völlig idiotisch und taktlos.

Und das entging Heller nicht. Er holte sofort aus und haute mir eine Ohrfeige. Es war kein schwerer Schlag, der mich da traf. Er brannte mehr in meiner Seele als auf meiner Wange. Ich empfand ihn als tiefe Demütigung.

Ohne jedes weitere Wort rannte ich hinaus. Der Arzt kam hinter mir her. »Mariechen, nichts für ungut!«, rief er. Ich war schon halb die Treppe hinunter und kehrte dann nochmal um. Er sei überreizt und wolle mich nicht kränken, sagte er. Ich nahm seine Entschuldigung an. Wir hatten ja keine Zeit für ein langes Versöhnungsgespräch.

Wenig später kam es zu unserem letzten und schlimmsten Streit. Wütend diskutierten wir miteinander: Ich fand, dass er sich völlig in die Idee verrannt hatte, möglichst viele Juden zu retten. Tagsüber hielt sich ein halbes Dutzend Illegaler in seiner Wohnung auf und versuchte dort irgendeine sinnvolle Tätigkeit vorzutäuschen, Fensterrahmen abzuwischen oder Gemüse zu putzen. Und ständig bedrängte Heller seine nichtjüdischen ehemaligen Patientinnen, jemanden bei sich aufzunehmen. Ich fürchtete, dass das früher oder später mit einer Katastrophe enden würde.



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