Uns umgibt dieselbe Finsternis (German Edition) by Richard Hey

Uns umgibt dieselbe Finsternis (German Edition) by Richard Hey

Autor:Richard Hey [Hey, Richard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Uksak E-Books
veröffentlicht: 2017-05-03T22:00:00+00:00


Gott

Einige Naturwissenschaftler, Kernphysiker, Astrophysiker, Biologen, Chemiker et cetera, lassen uns in letzter Zeit wissen, das Universum könne eine Versuchsanordnung sein.

Wessen Versuchsanordnung zu welchem Zweck, teilen sie nur verschwommen mit. Wenn ich richtig verstanden habe, vermuten sie, dass unser kleines Bewusstsein oder das noch kleinere der Dinosaurier oder das ehrfurchtgebietende der Katzen oder das so gefährdete der Stubenfliegen darauf angelegt sei, sich irgendwann, in einem atemberaubend mystischen Moment der Zukunft, mit dem großen Bewusstsein zu vereinigen, welches im Universum und hinter dem Universum wirke und durch den Urknall, den Big Bang, die Naturgesetze und Galaxien bis in die fernsten Fernen des Kosmos geschleudert habe.

Allerdings wollen die Wissenschaftler nicht ausschließen, dass die Naturgesetze und Galaxien demnächst auch wieder Zusammenstürzen könnten. Zuvor aber, nach der lächerlich kurzen Zeitspanne von etwa fünf Milliarden Jahren, wird aus unserer Sonne ein die Erde röstender und verschlingender roter Riese geworden sein, weswegen wir ebenso wenig von der Vereinigung haben werden wie die Saurier – vorausgesetzt, es gibt uns bis dahin noch, was nicht eben wahrscheinlich ist.

Eine kaum weiter aufregende Einsicht, die dennoch meinen Freund Henry, Biochemiker, zunehmend verstört haben muss. Viel zu spät bin ich dahintergekommen, dass er wahnsinnig war. Ach Henry, mein lieber, dicker, gemütlicher Freund, der so gern fraß und soff und die Frauen liebte. Mich peinigt der Gedanke, dass ich dich vielleicht hätte bewahren können, vor dem Absturz ins schwarze Loch deiner Erkenntnisse, aus dem kein Entkommen möglich ist. Aber wie eigentlich hätte ich dich bewahren können , frage ich mich dann sofort.

Unvorhersehbar und folgenlos, das seien die Erscheinungsformen des künstlerischen Genies, hatte mir mein alter Musikprofessor in Tübingen erklärt, und anhand zahlreicher Beispiele erläutert. In der Tat, frühere Jahrhunderte waren voll von unvorhersehbar und folgenlos auftretenden Dichtern, Malern, Musikern – die meisten von ihnen auch noch verrückt. – Wenige „normale“ Genies wie Leonardo, Bach, Goethe mal außer Acht gelassen.

In unserm Jahrhundert nun ist die schöpferische Energie der Menschheit offensichtlich und möglicherweise endgültig von den Künsten zu den Naturwissenschaften gedriftet.

Es gibt keine wahnsinnigen Dichter mehr.

Unsere genialen Zeitgenossen sind durchaus vorhersehbare Naturwissenschaftler mit deutlich erkennbaren langfristigen Folgen ihrer Tätigkeit. Und einer Sorte Wahnsinn, die bis zuletzt im für Laien unzugänglichen, wissenschaftlichen Gehäuse verborgen bleibt.

Die Schlussfolgerung scheint mir erlaubt, ja zwingend, dass ein künstlerisch oder wissenschaftlich verfeinertes Bewusstsein, uns biederen Tagedieben weit voraus auf dem Weg zur Vereinigung mit einem mehrdimensionalen Universumsbewusstsein, die entsetzlichsten Qualen und Verstümmelungen nicht nur zu erleiden hat, sondern notwendigerweise auch verursachen muss.

Ich denke, mit einem Vergleich aus meinem Fachbereich kann ich Henrys Dilemma erhellen. Sein Problem war das Problem des Vorhalts, jener Dissonanz, die sich zur Schlussharmonie aufzulösen hat. Eine kosmische Schlussharmonie, Stubenfliege und höchstes Bewusstsein Hand in Hand, umgeben von der Strahlenglorie ins Nichts versunkener Galaxien, mag ja sein, dass es so kommen wird.

Es beruhigt mich nicht, daran zu denken, und es beunruhigt mich auch nicht. Henry hat es beunruhigt. Die Möglichkeit schier endloser dissonanter Vorhalte mit Big-Bang-Trillern und einer unberechenbaren Folge von Scheinauflösungen vor der großen Auflösung zermürbte ihn. Er, der fromme heidnische Wissenschaftler, brauchte hier und jetzt einen erkennbaren Verursacher.



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