Tschick by Wolfgang Herrndorf
Autor:Wolfgang Herrndorf [Herrndorf, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt (com)
veröffentlicht: 2011-01-31T23:00:00+00:00
26
Zum Abschied gingen sie noch alle mit ans Gartentor, und da bekamen wir einen riesigen Kürbis geschenkt. Der lag da rum, ein riesiger Kürbis, falls wir Hunger hätten, könnten wir den mitnehmen. Wir nahmen ihn und wussten nicht mehr, was wir sagen sollten. Sie winkten uns lange hinterher.
«Tolle Leute», sagte Tschick, und ich fragte mich, ob er das ernst meinte. Mir schien, dass er das nicht ernst meinen konnte, er hatte sich ja auch vorher mit dem Zeigefinger an die Stirn getippt. Aber sein Gesichtsausdruck machte mir klar, dass er es ganz sicher ernst meinte. Dass er beides ernst meinte. Der Zeigefinger war ernst gemeint gewesen, und «tolle Leute» war auch ernst gemeint, und er hatte vollkommen recht: Es waren tolle, spinnerte Leute. Die nett waren und ein bisschen durchgeknallt, verdammt gutes Essen machten und außerdem wahnsinnig viel wussten – außer wo der Supermarkt ist. Das wussten sie nicht.
Aber wir fanden ihn schließlich auch so. Als wir mit zwei riesigen Norma-Einkaufstüten und einem Kürbis beladen wieder in die Straße bogen, wo der Lada parkte, stellte ich den Kürbis auf die Straße und schlug mich seitwärts in die Büsche, um zu pinkeln. Tschick trottete weiter, ohne sich umzudrehen – und ich erzähle das auch nur so ausführlich, weil es leider wichtig ist.
Als ich aus den Büschen wieder rauskam, war Tschick hundert oder hundertfünfzig Meter weitergelaufen und nur noch wenige Schritte vom Lada entfernt. Ich nahm den Kürbis wieder hoch, und im selben Moment kam aus einer Einfahrt genau in der Mitte zwischen mir und Tschick ein Mann, der ein Fahrrad auf die Straße zerrte. Er hob das Fahrrad hoch und stellte es umgedreht auf Lenker und Sattel. Der Mann hatte ein gelbliches Hemd an, eine grünliche Hose mit zwei Fahrradklammern, und auf dem Gepäckträger lag eine weißliche Mütze, die davonrollte, als er das Fahrrad umdrehte. Und erst an dieser Mütze erkannte ich den Polizisten. Ich konnte auch sehen, was wir auf dem Hinweg nicht gesehen hatten: Vor der großen Scheune stand nicht nur ein kleines rotes Ziegelsteinhaus, an dem Haus hing vorne auch ein kleines, grünweißes Polizeischild dran. Der Dorfsheriff.
Der Dorfsheriff hatte uns nicht gesehen. Er kurbelte nur an den Pedalen seines Fahrrads, zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und versuchte, die abgegangene Kette wieder aufs Ritzel zu drücken. Das funktionierte nicht, und er musste erst die Finger zu Hilfe nehmen. Dann betrachtete er seine schmutzigen Hände und rieb sie gegeneinander. Und dann sah er mich. Fünfzig Meter entfernt und leicht bergauf: ein Junge mit einem riesigen Kürbis. Was sollte ich machen? Er hatte gesehen, dass ich in seine Richtung kam, also ging ich erst mal weiter. Ich hatte ja nur einen Kürbis, und der Kürbis gehörte mir. Meine Beine zitterten, aber es schien die richtige Entscheidung zu sein: Der Dorfsheriff wandte sich wieder seinem Fahrrad zu. Doch dann guckte er nochmal hoch und entdeckte Tschick. Tschick war in diesem Moment beim Lada angekommen, hatte seine Einkaufstaschen auf die Rückbank gehievt und war im Begriff, sich auf den Fahrersitz zu setzen. Die Hände des Polizisten hörten auf gegeneinanderzureiben.
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