Toter Winkel by Tessa Korber

Toter Winkel by Tessa Korber

Autor:Tessa Korber [Korber, Tessa]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-05-14T16:00:00+00:00


Das ›Ekelpaket‹, wie Martin den Rechtsanwalt tituliert hatte, sprang aus seinem Lederdrehstuhl, als die Sekretärin Jeannette hereinführte, und eilte ihr mit großen Schritten entgegen. Jeannette bekam dieses kleine Herzklopfen, das sich bei jeder Frau einstellt, die einen gutaussehenden Mann auf sich zustürmen sieht. Selbst wenn er einen übermäßig gestylten Anzug trug und aus der Nähe ein wenig nach Alkohol roch. Jeannette ertappte sich dabei, daß sie ihn anstarrte, als müßte sie herausfinden, was dieses Gesicht so perfekt aussehen ließ. Ob das den Leuten mit ihr ebenso ging? Sie sah den Anwalt lächeln und dachte, »Es ist nur körperlich, du Idiot, gänzlich ohne Bedeutung«, während sie sich von ihm in die Besucherecke aus Leder und Stahl geleiten ließ.

Erstaunt, daß er sich nicht sofort wieder hinter seinem spiegelnden, leeren Ungetüm von Schreibtisch verschanzt hatte, sank sie in das schwarze Lederfauteuil. Wahrscheinlich hatte er in irgendeinem Managerkurs gelernt, daß man Frauen besser unter Druck setzte, indem man ihnen unmerklich zu nahe kam. Sein Sessel stand ein paar Zentimeter zu dicht an ihrem, und er beugte sich auch einen Hauch zu weit vor. Es klappte hervorragend, sie fühlte sich prompt unter Streß. Durchatmen, ermahnte sie sich, neutral bleiben. Was war das nur, daß dieser Mensch ihr schon auf den ersten Blick so unsympathisch erschien? Sie sog die Duftwolke ein, die herüberquoll, als er sich setzte. Schweres Moschus, stellte sie fest, und ein Hauch Cognac, mit einer Obernote aus Pfefferminz.

Bitte, betete sie, laß ihn mir die Hand auf den Schenkel legen. Damit ich ihn ins Knie schießen kann. Doch Gerling rückte nur seine Krawatte zurecht. Demonstrativ gelassen lehnte sie sich zurück. Auf dem Glastisch an ihrer Seite stand ein Strauß brennend roter Rosen. Ein Freimaurersymbol, wie sie sich an Josef Brunners Vortrag erinnerte. Oder eben nichts weiter als Rosen.

»Um gleich zur Sache zu kommen, Herr Gerling«, begann sie, ihm seinen Doktortitel bewußt vorenthaltend, »die Dokumente, über die wir …«

»Kaffee?« fragte Gerling freundlich und unterbrach so gleich ihren ersten Schwung.

Jeannette reagierte nur mit einem Kopfschütteln und fuhr, während er seine Sekretärin hinauswinkte, fort. »… über die wir gesprochen haben. Haben Sie die Unterlagen vorliegen?« Unwillkürlich fixierte sie die glänzenden Holzfronten der Aktenschränke hinter seinem Schreibtisch. Er folgte ihrem Blick mit den Augen und lehnte sich dann seinerseits zurück. Fasziniert sah Jeannette zu, wie er tatsächlich behutsam die Spitzen seiner gespreizten Finger vor der Brust zusammenlegte. Das hatte er doch aus dem Fernsehen! Sie hätte Mühe gehabt, ernst zu bleiben, wenn seine Antwort nicht so provozierend ausgefallen wäre.

»Es tut mir leid, verehrte Frau Dürer …«

»Ein einfaches ›Frau Kommissarin‹ genügt.«

»… aber die Organisation, die ich vertrete, sieht sich nicht imstande, den Wunsch ihrer Mitglieder nach Vertraulichkeit so zu enttäuschen. Wie Sie sicher wissen, steht das Gesetz dabei auf unserer Seite.« Jeannette brauchte einen Moment, bis sie seine Worte begriff. Dieser Mensch hatte sie doch schließlich hierherbestellt. Und nun wollte er ihr die versprochenen Mitgliederlisten nicht aushändigen? Was zum Teufel sollte das Manöver?

»Ich bin überzeugt«, fuhr Gerling fort, »daß der Staatsanwalt das ebenso sehen wird. Ein dringender oder gar nur hinreichender Tatverdacht gegen meine Mandanten liegt ja wohl in keiner Weise vor.



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