Todesgut by Alice Blanchard

Todesgut by Alice Blanchard

Autor:Alice Blanchard [Blanchard, Alice]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-05-23T22:00:00+00:00


5

Jack fand Daisy auch diesmal in der Bar gegenüber, an einem Tischchen aus knorrigem Kiefernholz, das wie gemacht schien für einsame Besäufnisse und selbstmitleidiges Meditieren. Er bestellte ein Bier, setzte sich neben sie und sah auf ihren zu einem trotzigen Schlitz zusammengepressten Mund.

»Ich warne Sie jetzt schon«, sagte Daisy. »Ich bin betrunken genug, um ausfällig zu werden.«

»Ich bin Kummer gewöhnt.«

Sie hatte eine halb leergerauchte Schachtel Zigaretten und ein großes Glas Rotwein vor sich. Ihr drittes, so wie es aussah. »Ich sitze hier und halte Zwiesprache mit meiner Wut«, teilte sie ihm mit. »Und morgen hält dann wahrscheinlich ein Mordskater Zwiesprache mit mir.«

Er nahm einen Schluck von seinem Bier. »Was Sie da durchmachen«, sagte er, »ist völlig normal. Es ist ein ganz natürlicher Prozess.«

»Ach, lecken Sie mich doch.«

Sonne schien zum Fenster herein und wärmte ihm Gesicht und Arme. »Recht so«, sagte er. »Reagieren Sie sich ordentlich ab.«

Sie lächelte, und plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. Sie wischte sie rasch weg und sagte: »Kann ich Sie was Persönliches fragen, Jack?«

»Nur zu. Wo wir schon auf ›Leck mich‹-Basis sind.«

Sie quittierte es mit einem trüben kleinen Lächeln. »Was bringt Sie zum Weinen?«

»Mich? Vergessen Sie's. Meine Tränendrüsen sind schon vor Jahren eingetrocknet.«

»Ich meine es ernst.«

Er lehnte sich zurück, legte ein bisschen Abstand zwischen sie beide. »Wenn ich an meine kleine Tochter denke«, sagte er, und sie schaute sofort fürchterlich schuldbewusst drein.

Eine melancholisches Schweigen legte sich über sie.

Er sah Daisy zu, wie sie ihren Wein trank und ihre Zigarette rauchte. Dann sagte er: »Gaines will mit Ihnen reden.«

Ihre Augen verschleierten sich. »Vergessen Sie's.«

Er ließ den Blick durch den Raum wandern, über die an die Wände genagelten Nummernschilder, die ananasgelbe Jukebox in der Ecke, ein Grüppchen von Frauen in dunkelglänzenden Lederhosen, die breitbeinig auf ihren Barhockern saßen, die Füße um die Sprossen gehakt. Ob die Motorräder vor der Tür ihnen gehörten? Mädchen in Rudeln. Foster's zum Abwinken. Die silberne Discokugel drehte sich und ließ Blitze gespiegelten Lichts über die Wände zucken, eine nostalgische Reminiszenz an das Saturday Night Fever der Siebziger.

»Er redet nur mit Ihnen«, sagte Jack.

Daisy schüttelte den Kopf. »Noch mal pack ich das nicht.«

»Ich kann's Ihnen nicht verdenken. Sie haben diese Woche schon außergewöhnlichen Mut bewiesen, Daisy. Außergewöhnliches Stehvermögen. Es wäre keine Schande, wenn Sie die Einladung ausschlagen. Überhaupt keine Schande.«

Sie runzelte die Stirn, und ihre Lippen waren so voll und feucht, dass er sich mit Macht auf seine Worte konzentrieren musste. »Was müsste ich tun?«, fragte sie.

Damit hatte er nicht gerechnet. »Ich würde mit Ihnen ins Gefängnis fahren, wo Sie hinter einer Plexiglasscheibe sitzen und über einen Telefonhörer kommunizieren würden. Ich wäre nebenan und würde jede Ihrer Bewegungen überwachen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind lückenlos. Sie wären keinerlei Gefahr ausgesetzt.«

Ihr Blick war hart. »Keiner physischen Gefahr.«

»Es ist eine Zumutung, ich weiß.«

Sie beugte sich vor, das Unglück der ganzen Welt in ihren Zügen. Ihre Augen blickten mindestens hundert Meter in die Ferne. »Wer war die Frau in dem Grab?«, fragte sie. »Mit den weißen Löckchen?«

»Irma Petropoulous? Sie hatte fünf Enkelkinder und ein Alkoholproblem. Sie war auf dem besten Weg zur Leberzirrhose.



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