Tod im Augustinerhof by Kruse Dirk

Autor:Kruse, Dirk [Kruse, Dirk]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi/Thriller
Herausgeber: ars vivendi verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2014-01-25T23:00:00+00:00

Samstag, 11. Januar

Treffpunkt für die Nürnberger Neubürger war vor dem Alten Rathaus am sogenannten Wolff’schen Bau. Beaufort hatte sich verspätet. Es war bereits ein paar Minuten nach elf, als er an dem imposanten Sandsteingebäude ankam. Doch es war nicht schwer, die Gruppe zu finden. Etwa zwanzig Köpfe schauten gleichzeitig nach oben auf das von der Sonne beschienene Rathausportal und schickten ihren Atem in die Höhe. Mit dem Finger auf das Wappen weisend, erläuterte ausgerechnet Verena Lösl den Altstadtinteressierten die Symbolik. Jedes andere Mitglied von ProNürnberg wäre ihm lieber gewesen. Die Zweite Vorsitzende war immer noch eine Hauptverdächtige für den Mord an Pelzig. Sie hatte ihre Unschuld nicht gänzlich beweisen können, und sie würde mit ihren Äußerungen über den Verein ganz sicher auf der Hut sein, sobald sie Beaufort bemerkte. Einen Moment lang zögerte er, ob er nicht lieber morgen wiederkommen sollte. Aber da er sich nun schon mal auf den Weg gemacht hatte, stellte er sich dazu.

»Obwohl das hier das Rathaus ist, sehen Sie nicht das Stadtwappen, sondern den Reichsadler. Es war den Ratsherren anscheinend wichtiger, Nürnberg als Stadt der Reichstage und als Aufbewahrungsort der Reichsinsignien der deutschen Kaiser darzustellen als die eigene Stadtgeschichte. Die beiden Stadtwappen sind stattdessen über den beiden Nebenportalen angebracht worden. Links das große Prunkwappen, das einen goldenen Adler mit dem Kopf einer Königin auf blauem Grund zeigt, und rechts das kleine geteilte Wappen mit einem halben schwarzen Adler auf gelbem Grund und den roten und weißen Schrägstreifen. Wenn wir jetzt wieder hier hochschauen auf den Sandsteinfries, dann sehen wir noch allegorische Figuren um den Reichsadler. Die beiden liegenden Frauen dort halten Schwert und Waage als Symbole für Gerechtigkeit.«

»Guck mal, Mami, da ist ja ein Vogel mit seinen Jungen«, sagte ein vielleicht achtjähriges Mädchen in rosa Jacke und mit einem rosa Stirnband. Sie war mit ihrer ganzen Familie da, mit Eltern, Großeltern und dem kleinen Bruder im Kinderwagen.

»Weißt du denn auch, was das für ein Vogel ist?«, fragte Verena Lösl das Mädchen freundlich, das so direkt angesprochen schüchtern den Kopf schüttelte und die Beine verdrehte. »Das ist ein Pelikan.« Sie wandte sich wieder an alle: »Nun werden Sie vielleicht fragen, was der Pelikan, der ja nicht gerade zu den einheimischen Nürnberger Tieren zählt, am Rathaus zu suchen hat. Der Pelikan ist ebenfalls eine Allegorie. Seit den alten Griechen wird die Sage überliefert, dass der Pelikan seine getöteten Jungen mit dem eigenen Blut wieder zum Leben erwecken kann. Sie finden den Pelikan gelegentlich auch in alten Kirchen. Da steht er dann für den Opfertod Christi. Auch hier ist wohl die Blutsymbolik gemeint. Die Ratsherren sollten ihre Entscheidungen gerecht – siehe Waage und Schwert – und mit Herzblut treffen. Ich bin mir nicht sicher, ob das alle heutigen Stadträte wissen.«

Die Gruppe nahm den kleinen Scherz dankbar lachend an. Erst jetzt bemerkte Verena Lösl Beaufort. Einen winzigen Moment lang veränderte ihr Gesicht die Farbe, dann nickte sie ihm zu und bat ihre Zuhörer hinüber zur Sebalduskirche zu gehen. Sie schlug ihnen vor, einen Blick auf das Relief von Adam

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