Susan Sontag. Geist und Glamour by Schreiber Daniel
Autor:Schreiber, Daniel [Schreiber, Daniel]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2015-05-01T16:00:00+00:00
Die letzte Intellektuelle
(1980–1983)
Ich möchte keine Professorin sein und ich möchte keine Journalistin sein. Ich möchte Schriftstellerin sein, die auch Intellektuelle ist.449
Die publizistische und intellektuelle Welt Amerikas hatte sich in den späten siebziger Jahren verändert. Während die Populärkultur zum alles umfassenden Phänomen geworden war, fand ernsthafte intellektuelle Auseinandersetzung mit Literatur, Kunst und Film nunmehr verstärkt in akademischen Publikationen statt. Die ehemals so wichtige Clique der New Yorker Intellektuellen war in der sich rasant wandelnden Medienlandschaft zunehmend in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die einheitliche Szene, die sich, freilich mit unterschiedlichen Protagonisten, von den dreißiger bis zu den sechziger Jahren gehalten hatte, gab es inzwischen nicht mehr. Um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können, gingen die meisten von ihnen an die amerikanischen Universitäten außerhalb New Yorks oder wurden von neokonservativen Think Tanks, wie dem American Enterprise Institute, dem Project for the New American Century oder dem Jewish Institute for National Security Affairs, gefördert. Auch Schriftsteller waren mehr und mehr gezwungen, Lehraufträge an den Instituten amerikanischer Universitäten anzunehmen. Nur wenige waren noch in der Lage, als freischaffende Autoren oder Intellektuelle zu arbeiten. Die ehemaligen Zentralorgane der intellektuellen Publizistik wie die Partisan Review verloren nicht nur mehr und mehr Leser, auch der intellektuelle Stil, für den sie standen, war aus der Mode gekommen. Der Commentary wurde unter der Leitung des Chefredakteurs Norman Podhoretz, einem der lautesten neokonservativen Intellektuellen, zum Parteiblatt der beginnenden Reagan-Ära.450
Allein die New York Review of Books war während des Vietnamkriegs zu einem wichtigen Forum für politische und kritische Debatten geworden, die über den Dunstkreis New Yorks hinausreichten. Die Zeitschrift konnte ihre Vormachtstellung in der Presselandschaft behaupten, indem sie sich zunehmend auf politische Themen spezialisierte und die Interessen der über das Land verstreuten Akademiker vertrat. In ihren Anfängen noch ein Szeneblatt, wurde die Review immer mehr zu einem bis heute für Akademiker und ehrgeizige Studenten obligatorischen Campusorgan.
Zudem war der Zusammenhalt der New Left verschwunden. Es gab keine großen Themen mehr, die die Bewegung zusammenhielten. Die Ethik von Dissens und Rebellion, die für nunmehr zwei Jahrzehnte eine der grundlegenden Motivationen für intellektuelle Positionen gewesen war, hatte an Attraktivität verloren. Die meisten linken Autoren, Publizisten und Intellektuellen hatten sich von ihrem radikalen Erbe verabschiedet oder waren nostalgisch geworden. Ein Großteil von ihnen, vor allem jene, die aus der Old Left mit ihrer bürgerlich-liberalen Ausrichtung gekommen und sich immer gewisse Vorbehalte gegen den Radikalismus der New Left bewahrt hatten, bezogen zunehmend konservative Positionen. Die einflussreiche neo-konservative Bewegung, gefördert durch das Aufkommen der erwähnten Think Tanks und Lobbygruppen, machte ihren politischen Einfluss geltend und feierte im November 1980 mit der Wahl des ehemaligen Schauspielers und kalifonischen Gouverneurs Ronald Reagan zum amerikanischen Präsidenten ihren ersten überwältigenden Erfolg.
Die sogenannte Neo-Con-Bewegung kann keinesfalls als einheitlich bezeichnet werden. Aber ihre vielfältigen Splittergruppen wurden von der tief empfundenen Kritik am politischen Radikalismus der sechziger Jahre und ihren utopischen Illusionen zusammengehalten. Neokonservative Autoren wie Hilton Kramer, Norman Podhoretz oder Irving Kristol inszenierten sich dabei mit Nachdruck als die wahren Erben der New Yorker Intelligenz und definierten sich als wegweisende Autoren für die Mittelklasse.451
Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich auch in Europa ab.
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