Sturm der Seelen: Roman by Michael McBride

Sturm der Seelen: Roman by Michael McBride

Autor:Michael McBride [McBride, Michael]
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2010-08-12T22:00:00+00:00


XXXVIII

AUF DEM GROSSEN SALZSEE

Schneewolken aufwirbelnd jagten die Motorschlitten über die endlose weiße Ebene, auf der sich immer noch Wellenkämme abzeichneten, als wäre die Wasseroberfläche in dem Moment, als sich der Sturm über den See senkte, zu einer Momentaufnahme erstarrt. Links und rechts zogen glatte Felsformationen an ihnen vorbei, Inseln, die jetzt von Schnee eingeschlossen waren. Sie fuhren in einer V-Formation wie ein Gänseschwarm und ließen respektvollen Abstand zu ihrem jeweiligen Nebenmann, um ihr Gewicht auf eine möglichst große Fläche zu verteilen. Bis jetzt hatte es nicht das geringste Anzeichen gegeben, dass das Eis einbrechen könnte, und all ihre Bedenken waren verflogen. In Richard stieg ein Gefühl der Unbesiegbarkeit auf, eine Kraft, die er aus jeder Pore ausstrahlte.

Er hatte unterschätzt, wie groß der See war. Es war eher ein Binnenmeer, ein Überbleibsel der Ozeane, das diese auf dem Festland zurückgelassen hatten, als die Kontinente sich verschoben. Fast einen halben Tag hatte es sie gekostet, auf dem Highway um ihn herumzufahren, und mit den Schneemobilen ging es kein bisschen schneller, auch wenn sie diesmal den direkten Weg nahmen. Wären sie stattdessen am Ufer entlang bis zu der Höhle gefahren, hätten sie damit mindestens einen ganzen Tag verschwendet. Richard wusste nicht, wie lange sie noch brauchen würden, bis sie das Westufer erreichten, aber er hatte auch so schon genug Zeit allein mit sich und seinen Gedanken gehabt, um einen Plan auszuarbeiten. Es wäre ein Leichtes, einfach in das Lager der anderen zu marschieren, sie alle abzuschlachten, den Jungen mitzunehmen und sich, kaum fünfzehn Minuten später, schon wieder auf den Rückweg zu machen, doch gleichzeitig wusste Richard, dass dies die Gelegenheit war, das erste Kapitel seiner eigenen Legende zu schreiben. Er überlegte, was ein wahrer Herrscher, ein Kaiser, getan hätte. Laotse hatte Krieg als eine Form der Kunst bezeichnet, und Richard würde hier und heute sein Meisterstück abliefern. Sein Gefolge sollte ihn als lebende Legende verehren, gefürchtet und respektiert, jemand, dessen Willen man nicht hinterfragt.

Und Richard wusste genau, was er zu tun hatte.

Er suchte den Horizont nach der Felsinsel ab, die er vom Strand vor der Höhle aus gesehen hatte. Von dort, aus westlicher Richtung, hatte ihre Form ihn an den Rücken eines Seeungeheuers erinnert. Wie sie wohl von der anderen Seite aussehen würde? Sie durften sie in ihrer Eile nicht verpassen und übers Ziel hinausschießen, denn dann befänden sie sich bereits auf der großen, ungehindert einsehbaren Fläche direkt vor dem Strand der anderen und hätten das Überraschungsmoment unweigerlich verspielt. Wenn sie sich der Insel jedoch genau von Osten näherten, könnten sie sich ungestört auf die bevorstehende Konfrontation vorbereiten, und Richard wusste, dass es eine solche geben würde: zu seinen Bedingungen, in einer Situation, in der er alle Variablen unter Kontrolle hatte.

Die Schneeflocken waren mittlerweile so dick und der Wind so stark, dass die Sichtweite praktisch null betrug. Der Horizont vor ihnen war immer nur für Sekundenbruchteile zu sehen, wenn der Sturm kurz Atem holte und der peitschende Wind die Richtung wechselte. Ohne Sonne war es nahezu unmöglich, die Zeit einzuschätzen, aber Richard dachte, dass es etwa gegen Mittag sein musste.



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